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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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durchgesehen hatte, stieß er auf ein altes Radio. Er schaltete es ein und suchte nach einem adäquaten Sender.
    »…   und nun spielen wir die Symphonie Nr.   5 in c-Moll von Ludwig van Beethoven. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen   …« Der Sprecher verstummte, und die Symphonie setzte ein. Gaardner nickte. Das war eines seiner Lieblingsstücke. Später würde
     er sich womöglich einen Walzer suchen, um mit der Kleinen zu tanzen, aber für den Augenblick war das hier in Ordnung. Er drehte
     die Lautstärke voll auf. Niemand würde es wagen, sich zu beschweren. Es störte ihn auch nicht, dass das alles wahrscheinlich
     von den Kameras aufgezeichnet wurde. Die Stunde null war zu nahe, als dass er sich darüber noch Gedanken gemacht hätte.
    Er zog die Schubladen mehrerer Schreibtische auf, bis er einen schmalen Brieföffner fand. Mit der Fingerkuppe fuhr er über
     die Schneide. Einen sauberen Schnitt würde man damit nicht machen können, aber die Spitze war brauchbar. Das würde genügen.
     Wenn sie ihn nicht in Frieden ließen, würde eine Unschuldige für ihn bezahlen. Das würde funktionieren, gewiss doch. Falls
     nicht, würde er wenigstens Gebrauch von seinem Dolch machen und ein paar von ihnen ins Jenseits schicken, und wenn das nicht
     genügte, zuletzt den Körper der jungen Frau durchbohren. Das würde sein kleiner Beitrag zur Weltgeschichte sein: sie mit in
     den Tod zu nehmen. Aber er war sicher, dass sich das nicht als notwendig erweisen würde.
    Er ging bis ans Ende des Flures und öffnete die Tür zum Putzraum. Als sein Blick auf die beiden großen Behälter Desinfektionsmittel
     fiel, kamen ihm die anderen Behälter in den Sinn, die er auf seinem Stockwerk gesehen hatte. Was hatten die Wachleute wohl
     damit gemacht? Er sah die Regale durch, bis er hatte, was er suchte: ein Stück Schnur. Er würde Isabel auffordern, sich hinzusetzen,
     und sie auf dem Stuhl festbinden, damit sie keinen Ärger machte. Sie war gefügig, aber im letzten Moment konnte sie Panik
     bekommen und   …
    Der Schlag war zielsicher. Gaardner sank bewusstlos nieder, während die Geigen des Chicago Orchestra in voller Pracht erklangen.
     Der Drucker prallte gegen eines der Regale und zerschellte,als er auf dem Boden aufschlug. Verächtlich betrachtete Isabel den Körper des Mannes, der da auf den Fliesen des Kämmerchens
     lag, urplötzlich all seiner Macht und all seines Wahnsinns beraubt. Seit zwei Tagen hatte sie sich auf diesen Moment gefreut.
    Isabel hatte Gaardners Spiel von Anfang an durchschaut. Sie war gezwungen gewesen, die Naive und Gefügige zu geben, um ihm
     die nötigen Informationen zu entlocken. Aber sein Verhalten der letzten Stunden hatte ihr gezeigt, dass es an der Zeit war,
     das Spiel zu beenden.
    Stundenlang in diesem versnobten Lokal zu sitzen und so zu tun, als wäre sie betrunken, später im Bett sich schlafend zu stellen,
     während Gaardner sie fotografierte, das ganze Theater beim Einkaufen   … Sie hatte keinen Kontakt zu ihren Freunden aufnehmen können, da der Handyempfang im 26.   Stockwerk aus Sicherheitsgründen blockiert war. Nur ein kurzer Anruf im Krankenhaus war möglich gewesen, und so hatte sie
     erfahren, dass Carlos noch immer im Koma lag. Aber das Warten hatte sich gelohnt. Sie war aus ihrem Büro gekommen, als sie
     sicher war, dass Gaardner nicht mehr an der Tür stand. Dank der lauten Musik hatte sie sich den Gang entlangschleichen können,
     ohne dass er sie hörte. Den Drucker hatte sie mitgeschleppt. Und dann hatte sie gesehen, dass Gaardner ihr den Rücken zukehrte.
     Er stand halb in der Putzkammer, wo keine Kamera aufzeichnen würde, wie sie ihm den Drucker auf den Kopf knallte.
    Es würde ein Weilchen dauern, bis er aufwachte. Und dann wäre sie nicht mehr da, sondern nur ein leeres Büro und auf dem Boden
     ihr grauenhaft grünes Kleid. Und niemand würde an seiner Seite sein, wenn das eintrat, was er die ganze Zeit wiederholt hatte
     – wenn sie ihn holen kamen.
    Sie beugte sich über den besinnungslos daliegenden Mann und kramte in seinen Taschen nach der I D-Card . Teo war hier im Gebäude. Am Ende hatte Gaardner ihr viel mehr erzählt als erwartet. Er war seiner eigenen Arroganz zum Opfer
     gefallen. Sie stand auf, die I D-Card in der Hand. Es war Zeit, nach oben zu fahren. Sie ging sie zurück ins Büro, stellte die Musik ab und nahmihre Tasche. Hatte dieser Idiot ihr tatsächlich einen Knopf von der Bluse abgerissen. An dem Punkt hätte sie die Komödie

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