Der 26. Stock
schließlich in Rais Sessel
Platz zu nehmen. Er schlug die Beine übereinander und zog abermals an seiner Pfeife. »Um ehrlich zu sein, habe ich unseren
Freund Gaardner schon immer für eine miese Type gehalten, aber intelligent ist er schon. Deshalb war es nicht einfach, ihn
zu überlisten, damit er dich in sein Stockwerk aufnimmt. Aber ihr müsst das verstehen, es gab keine andere Möglichkeit. Sonst
wäre Isabel gezwungen gewesen, ihre Entlassung hinzunehmen, und wir hätten sie hier nie wiedergesehen.«
»Und warum zum Teufel wolltest du sie weiter hier sehen?«, spuckte Vera das ihrem alten Weggefährten geradezu ins Gesicht.
»Kapierst du denn nicht …«
»Doch, natürlich kapiere ich«, fiel Hugo ihr ins Wort. »Und viel besser als du, das darfst du mir glauben. Deshalb habe ich
ja so gehandelt. Ich wusste, dass Isabel ungeschoren davonkommen würde, und allzu fair wäre das nicht gewesen.«
»Isabel hat dir nichts getan«, sagte Vera. Sie wich ein paar Schritte zurück, und ihre Hand näherte sich langsam der Handtasche.
»Ja, das ist wahr, aber ich ihr auch nicht, und trotzdem habe ich für meine Schuld bezahlt wie alle anderen auch. Genau wie
du, Vera. Und kommt Isabel etwa nicht seit Jahren jeden Morgen hierher und arbeitet mit uns? Hat sie etwa nicht dazu beigetragen,
dass die Firma wächst und ihre Pläne umsetzen kann? Sie hat uns gut gedient, Vera, und deshalb konnte ich nicht zulassen,
dass sie sich jetzt einfach aus dem Staub macht, nur weil sie von nichts weiß. Sie hätte doch nur mal nachzubohren brauchen
oder eine der Beförderungen annehmen, die ihr angeboten wurden. Wie dein Freund Rai. Der macht uns noch mehr Probleme. Ein
aalglattes Bürschchen. Aber du weißt ja, früher oder später werden wir ihn schon finden.«
»Ihr?«, fragte Isabel.
Vera drehte sich zu ihr um und warf ihr einen mahnenden Blick zu, sie solle lieber schweigen. Hugo stand auf und näherte sich
Isabel. Vera zog rasch die Hand aus der Tasche.
»Mädchen, Mädchen«, sagte Hugo und blies Isabel Rauch ins Gesicht, sodass sie husten musste. »Wirst du es denn nie kapieren?
Da müsste schon ein Neonschild vor deiner Nase hängen, damit du was merkst. Ich wette, du hast es mir auch abgekauft, dass
ich Cassandra besuchen würde. Ich bin hingefahren, ja, um sie mitzunehmen, das war meine Order, aber unsere so überaus clevere
Vera kam mir zuvor. Dann habe ich dir noch weisgemacht, mir sei die Mappe mit den Fotokopien geklaut worden, das Foto von
dem Toten mit den beiden Polizisten daneben …Verbrennen musste ich sie, Isabel. Ich war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher, aber später bekam ich die Bestätigung.
Wenn du mit deinen Nachforschungen weitergemacht hättest, hättest du es am Ende noch herausgefunden. Der Tote am Boden war
nämlich einer von ihnen.«
»Von wem?«, fragte Vera. Hugo drehte sich zu ihr um.
»Vom wem wohl? Von deinen Bossen, die auch meine sind. Ein Vorstandsmitglied. Anscheinend war das Foto ein Standbild von einer
ziemlich kompromittierenden Filmaufnahme.«
Isabel fiel die Aufnahme auf dem Band ein, das Carlos ihr gegeben hatte. Hatte er etwa gewusst, was diese Bilder bedeuteten?
»Also«, setzte Isabel an und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, »wenn der Mann Mitglied des Vorstands war … Wer hat ihn dann umgebracht?«
Hugo krümmte sich fast vor Lachen.
»Umgebracht? Nein, tot ist er nicht, obwohl ihm das sicher lieber wäre. Aber genug der Erklärungen. Jetzt muss ich euch bitten,
mit mir mitzukommen.«
Im Bruchteil einer Sekunde griff Vera in die Tasche und zog mit einer einzigen sicheren Bewegung den Revolver, den ihr Mann
vor Jahren gekauft hatte. Ohne mit der Wimper zu zucken, richtete sie ihn auf Hugo. Ihre Hände zitterten nicht, und sie spannte
mit drohendem Blick den Hahn.
»Wir sperren dich jetzt in die Putzkammer, Hugo, und du versuchst besser gar nicht erst, dich dagegen zu wehren. Eine der
wenigen nützlichen Sachen, die ich von meinem Mann gelernt habe, ist der Umgang mit einer solchen Waffe.«
Hugo hob eine Augenbraue, leicht verärgert, dass seine Pläne für einen Augenblick gestört wurden. Das schwarze Loch der Mündung
schien ihn nicht im Geringsten zu beunruhigen.
»Das hätte ich nun nicht von dir erwartet«, sagte er und machte einen Schritt auf Vera zu. »Du hast hier doch auch eine Menge
Geld verdient. Du solltest auf unserer Seite stehen, anstatt wie ein Teenager zu bocken und zu leugnen, wer
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