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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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Leben
     gerettet und abgewartet, bis er in Sicherheit war, um den Aufzug dann zurückzuholen.
    »Danke«, sagte er mit matter Stimme.
    Wenn tatsächlich jemand im Aufzug fuhr, würde er das nicht hören können, so viel war ihm klar, aber er war zu erschöpft, um
     laut zu rufen. Er schloss die Augen. Der Teppich war mollig weich. Sein Schutzengel war jetzt nicht mehr da. Bald würde heißer
     Qualm den Raum erfüllen. Mehrere Stockwerke weiter unten gab es eine neuerliche Explosion. Zac riss erschrocken die Augen
     auf. Dunkelheit. Er stand auf und wich einen Schritt zurück, als das Licht wieder anging. Vor sich sah er einen Springbrunnen
     ohne Fische. Seine Unterlippe bebte.
    Man hatte ihn nicht nur gerettet, er befand sich genau an dem Ziel, zu dem er aufgebrochen war, als er Stunden zuvor auf die U-Bahn -Gleise gesprungen war. Er wankte den langen Korridor hinunter. Nach wenigen Schritten musste er sich an der Wand abstützen.
     Seine Beine waren schwer wie Blei und versagten ihm den Dienst. Er drückte seine Nase gegen eine Fensterscheibe. Tief unten
     machte er mehrere Feuerwehrfahrzeuge aus, die dicke Wasser- und Schaumstrahlen auf das Hochhaus richteten. Auf der Straße
     wimmelte es von Polizeiwagen. Einige Beamte waren dabei, das Gebäude abzuriegeln, um den Schaulustigen den Weg zu versperren.
     Gespannt starrten sie herauf und hofften sensationslüstern, den Brand auf möglichst spektakuläre Weise enden zu sehen. Sie
     erwarteten, dass das Hochhaus von einem Moment zum nächsten   … Zac trat hastig von der Scheibe zurück und bog in den zweiten Korridor ein. Sein linker Arm hing so reglos herab, als hätte
     er den Kampf aufgegeben. Er beschleunigte den Schritt und rannte schließlich, bis er an der Feuertreppe ankam. Erst in dem
     Augenblick, als er wie eine Fliege an der Scheibe klebte, hatte er es überhaupt kapiert: DieLeute erwarteten, dass das Hochhaus einstürzte. Früher oder später würde die extreme Hitze die Stahlstruktur zum Schmelzen
     bringen, und dann würde das Haus in sich zusammenfallen. Zac hatte die Baupläne gesehen, er wusste, dass es ein Innengerippe
     aus Beton gab, aber das ließ ihn nicht langsamer gehen. Ihm war jetzt klar: Wenn er Isabel nicht ganz schnell rettete, würde
     niemand mehr sie beide retten.
    Als er den Notausgang öffnete, spürte er sofort den Temperaturanstieg. Hier gab es keine Klimaanlage, und die Flammen züngelten
     nur ein paar Stockwerke weiter unten, viel näher, als es ihm vom Aufzug aus erschienen war. In wenigen Minuten würde der Brand
     bis hier vorgedrungen sein. Aber als er zu der Metalltür sah, die zur Treppe führte, erschrak er. Jemand hatte sie mit einer
     dicken Kette gesichert. Zac versuchte, sie zu lösen, aber mit seinen verletzten Fingern war das so gut wie unmöglich. Er überlegte,
     ob er im Putzraum nach etwas suchen sollte, womit er die Kette durchsägen konnte. Hätte er sich dafür entschieden, so wären
     ihm sicher die Behälter mit Desinfektionsmittel aufgefallen, die dort herumstanden – Behälter wie jene, die der alte Mann
     vom Vortag hereingeschleppt hatte. Er hätte allerdings nichts gefunden, was ihm von Nutzen gewesen wäre. Da ertönte ein Schrei
     und hielt ihn davon ab, seine Zeit zu verschwenden. Er presste ein Ohr an die Tür, überzeugt, dass der Schrei von der anderen
     Seite gekommen war. Wieder ein heller, spitzer Schrei, viel näher an der Tür als der erste.
    Dann nur ein Wort, eine Frauenstimme. »Hilfe!« Zac hörte und erkannte die Stimme. Er griff zum Feuerlöscher und schleuderte
     ihn gegen die Kette. Ein zweites, ein drittes, ein viertes Mal. Etwas stieß von innen gegen die Tür. Ein Klagelaut war zu
     hören. Beim sechsten Schlag mit dem Feuerlöscher sprang die Kette. Die Tür ging auf, bevor Zac sie öffnen konnte.
     
    »Isabel, hilf uns!«
    Als sie die Stimme erkannte, die da nach ihr rief, blieb sie wie angewurzelt stehen. Sie zitterte nicht einmal. Das war er.
     Erstand da, auf der anderen Seite des Holzregals, oder wenigstens war es seine Stimme. Sie atmete ein, atmete ein und vergaß
     völlig, wieder auszuatmen.
    »Isabel   …«
    Bevor sie das Flehen noch einmal hörte, schrie sie selbst, ein Schrei ohne Inhalt, ohne Hoffnung auf Antwort. Der Instinkt
     der Angst. Sie schloss die Augen und schrie noch einmal, als hoffte sie, mithilfe einer unbekannten Zauberkraft fliehen und
     an einen weit entfernten Ort gelangen zu können. Dann kauerte sie sich neben Vera zusammen. Als ihre

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