Der 26. Stock
viel mehr drauf als ich. Ich weiß nicht, wie das sein kann … Aber ich komme euch oft besuchen, Ehrenwort!«
Alle lachten, und Isabel beglückwünschte ihre Mitarbeiterin. Dann bat sie Beatriz, sich um die nächsten Interviews zu kümmern
und kehrte in ihr Büro zurück.
Sie ließ sich auf ihren Bürostuhl fallen. All diese Veränderungen kamen ihr viel zu schnell. Bis vor zwei Tagen hatte sie
die eine Hälfte ihres Lebens – die Arbeit – perfekt im Griff gehabt. Sie begriff nicht, warum Luna befördert werden sollte.
Dass man sie selbst nicht zu Rate gezogen hatte, war das Wenigste, so etwas geschah nicht zum ersten Mal. Aber warum Luna?
Sie war eine umgängliche, vor Energie sprühende junge Frau, doch fehlten ihr die Erfahrungen, die andere wie Pablo oder Beatriz
inzwischen hatten sammeln können. Und ihre Persönlichkeit war in vielem noch die eines Teenagers. Durch Beziehungen ließ sich
dieser Aufstieg nicht erklären. Zwar konnte Vitamin B im Konzern manchmal, wie überall, eine Rolle spielen, aber Isabel war
nicht bekannt, dass Luna Kontakte zu den oberen Etagen hatte. Sollte sie von Rai eine Erklärung verlangen? Sie schüttelte
den Kopf. Wenn der ihr etwas zu dem Thema hätte sagen wollen, hätte er das bestimmt getan, als sie vorhin bei ihm war. Nein,
sie musste über andere Kanäle herausfinden, was hier vor sich ging.
Isabel machte sich einen starken Espresso, setzte sich an den Schreibtisch und ging die Namen derjenigen durch, die ihr bei
ihren Nachforschungen behilflich sein konnten. Sie hatte einige gute Bekannte in den anderen Stockwerken. Sie wählte eine
Nummer in der Personalabteilung.
»Ja?«
Isabel erkannte das elegante Timbre in der Stimme sofort wieder.
»Gerard?«
»Ja, am Apparat.«
»Hallo, hier spricht Isabel Alvarado vom zwölften Stock. Erinnern Sie sich noch an mich?«
»Aber klar doch.« Die meisten Menschen erinnerten sich an die Person, der sie beim Bewerbungsgespräch gegenübergesessen hatten,
bevor sie dann tatsächlich eingestellt wurden. »Freut mich, von Ihnen zu hören. Wie geht’s denn?«
»Danke, bestens. Ich wollte Sie um einen Gefallen bitten.«
»Sicher, was kann ich für Sie tun?«
Isabel wusste, dass sie nicht direkt nach ihrem ehemaligen Chef fragen konnte. Wenn nach oben durchdrang, dass sie über die
von Rai erhaltenen Informationen hinaus Nachforschungen anstellte, konnte das Ärger geben.
»Also, ich habe gehört, dass mein Abteilungsleiter Alberto Hernán krankgeschrieben ist. Aber man weiß nicht, für wie lange.
Könnten Sie das für mich herausfinden?«
»Ich sehe gleich nach, einen Moment.«
Isabel hörte, wie er etwas in den Computer eingab; dann vernahm sie einen Ausruf der Verwunderung.
»Isabel, sind Sie noch dran?«
»Ja, ich höre.«
»Was hat Ihr Chef denn? Hatte er einen Autounfall oder was? Außerdem hat ein gewisser Raimundo Lara seinen Posten übernommen,
aber das wissen Sie wahrscheinlich schon.«
»Übernommen?«
»Ja, übernommen. Wegen einer Krankheit wird eigentlich kein Mitarbeiter versetzt, aber Señor Hernán ist hier nicht mehr als
Chef des zwölften Stockwerks verzeichnet. Außerdem steht hier, er sei auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben. Sagen Sie, Isabel,
was ist denn mit ihm los?«
»Machen Sie sich keine Sorgen. Aber noch was ganz anderes:Wissen Sie vielleicht, was aus den Fahrstuhlführern geworden ist?«
»Ja, klar, die wurden entlassen. Durch die neuen Sicherheitsmaßnahmen sind sie wohl überflüssig geworden. Warum fragen Sie?«
»Es gibt da einen älteren Herrn, mit dem ich mich angefreundet hatte und von dem ich mich gerne verabschieden würde. Sein
Vorname lautet Mateo. Könnten Sie mir vielleicht sagen, wo ich ihn finden kann?«
Wieder hörte man Tastaturgeklapper. Es war schön, auf jemanden zu treffen, der einem gerne einen Gefallen tat.
»Hm … in der Datenbank ist keine Spur mehr von ihm. Anscheinend hatte man es eilig, die Jungs loszuwerden. Im Moment habe ich
da nichts, aber ich werde versuchen, Ihnen seine Adresse oder Telefonnummer zu beschaffen.«
Isabel dankte Gerard für seine Hilfe, und er bedankte sich seinerseits dafür, dass sie ihn eingestellt hatte. De facto war
es nicht sie, die jemanden einstellte, sie überprüfte nur, ob das Profil eines Bewerbers zum Konzern passte. Aber es war nicht
verkehrt, wenn die Leute sich das anders vorstellten.
Die vier folgenden Telefonate führten ebenso wenig zu einem Ergebnis. Alle verwiesen
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