Der 26. Stock
zu beruhigen. Jemanden, der stets nachlässig gekleidet
und unrasiert warund nach Pfeifentabak muffelte, wollte Rai auf dem Stockwerk nicht haben, das jetzt ihm gehörte. Endlich.
Plötzlich blieb die Figur stehen und sah zu ihm herauf. Unwillkürlich wich Rai vom Fenster zurück, als hätte Hugo ihn tatsächlich
sehenkönnen. Wenige Sekunden später sah er erneut hinaus. Hugo war verschwunden. Bestimmt war er in sein Büro zurückgekehrt, seiner
Pfeife müde, um sich wieder Kreuzworträtseln und UF O-Büchern zuzuwenden.
Rai setzte sich in den Sessel. Er zitterte vor Wut. Er würde sich um Hugo kümmern, fertigmachen würde er ihn. Auf einmal hörte
er die aufgeregte Stimme seiner Sekretärin. Rai tastete hastig nach dem Knopf unter dem Tisch, mit dem er die Wachleute rufen
konnte. Wenn Hugo noch einmal kam, dann sicher, um auf ihn loszugehen. Er würde sich mit seinem massigen Körper wild entschlossen
auf ihn stürzen. Als Rai gerade den Knopf betätigen wollte, ging die Tür auf. Als Erstes sah er das Gesicht seiner Sekretärin.
»Entschuldigen Sie, Señor Lara. Angeblich ist es sehr wichtig.«
Isabel tauchte hinter der Sekretärin auf. Rai zögerte einen Augenblick, während er unwillkürlich nach einem dritten Gesicht
Ausschau hielt, nach Hugo. Aber offenbar war sie diesmal alleine gekommen. Rai nickte, und die Sekretärin ließ Isabel passieren.
Rai nahm die Hand vom Alarmknopf und räusperte sich. Isabel sollte auf keinen Fall bemerken, dass er zitterte. Mit einer Handbewegung
forderte er sie auf, sich zu setzen.
»Nun?«, fragte er, während er beiläufig einen Stapel Unterlagen durchblätterte.
»Zunächst einmal«, sagte Isabel, »wollte ich dich für das Geschehene um Entschuldigung bitten.«
Damit hatte Rai nicht gerechnet.
»Das war nicht deine Schuld, das war Hugo. Du solltest dich nicht mit solchen Leuten umgeben.«
»Wir wollten uns nicht mit dir streiten«, erklärte Isabel, »aber bei allem, was zurzeit passiert, liegen die Nerven einfach
blank.«
Rai nickte. »Das rechtfertigt nicht, dass dein Freund beinahe handgreiflich geworden wäre, Isabel. Wie dem auch sei, Alberto
hatte einen Unfall und Cassandra ist durchgedreht. Wir arbeiten in einem Unternehmen mit sehr vielen Angestellten. Ich glaube,es ist reiner Zufall, dass zwei Personen vom selben Stockwerk betroffen sind. Ich finde das halb so wild. Und die Entscheidung
der Konzernleitung ist doch nachvollziehbar. Man will nicht unbedingt an die große Glocke hängen, dass zwei wertvolle Kräfte,
vor allem Alberto, aus dem Spiel sind. Das könnte dem Image unseres Unternehmens schaden. Aber falls es dich beruhigt, kann
ich dir sagen, dass der Leiter des Polizeireviers Nord über alles informiert worden ist. Das kannst du mit einem einfachen
Anruf überprüfen.«
»Und was ist mit Carlos?«
»Was für ein Carlos?«
»Carlos Visotti aus dem 21. Stockwerk. Er liegt im Krankenhaus. Er wurde am Samstag brutal zusammengeschlagen.«
Rai fuhr sich durchs Haar. Er wirkte verunsichert.
»Davon weiß ich nichts. Ich kenne ihn nicht einmal.«
»Das habe ich mir schon gedacht«, erwiderte Isabel. »Tatsache ist, dass er im Koma liegt.«
Rai fing an, mit den Fingern auf die Tischplatte zu trommeln. Zum Glück hatte ihn bisher niemand mit Fragen behelligt, aber
da stand nun Isabel, eine neugierige und intelligente junge Frau, genau das, was er im Augenblick am wenigsten brauchen konnte.
»Auch mir ist schon der Gedanke gekommen, dass jemand den Versuch unternehmen könnte, die Firma über ihre Angestellten zu
attackieren«, räumte er ein. »Glaub nicht, dass mir diese Vorkommnisse gleichgültig sind. Wir haben zahlreiche Konkurrenten,
denen es lieb wäre, uns zu vernichten. Aber dafür sind die Polizei und die Unternehmensführung zuständig. Nicht du und nicht
ich. Wenn du gehen möchtest, nimm ein paar Kartons und pack deine Sachen. Wenn nicht, dann überlass diese Angelegenheit denen,
die dafür verantwortlich sind.«
»Rai.« Isabel hatte erschöpft den Kopf gesenkt. »Ich mag meine Arbeit, und außerdem brauche ich den Job, damit mein Bruder
und ich über die Runden kommen. Aber sag mir bitte, was los ist. Vera ist ebenfalls verschwunden. Hugo liegt das auch sehr
am Herzen, deswegen hat er ja so heftig reagiert.«
Rai erhob sich.
»Tut mir leid, was ich weiß, habe ich dir schon gesagt. Ich habe keinen Schimmer, wo Vera steckt, ich weiß nicht, was aus
Alberto geworden ist, und auch
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