Der 26. Stock
Stockwerk, und Hugo wies auf die Tür am Ende des Korridors.
»Ich finde, es ist jetzt wirklich höchste Zeit, dass uns dieser Mistkerl von Rai eine Erklärung gibt.« Er deutete auf die
Mappe. »Davon sollte er allerdings nichts wissen.«
Isabel überkam ein Schwindelgefühl. Sie fühlte sich allmählich wie in einem Detektivfilm, und es gefiel ihr nicht, dass sie
diejenige war, die diesen geheimnisvollen Fall aufklären sollte. So etwas war eigentlich Aufgabe der Polizei. Aber Hugo hatte
recht: Wenn es überhaupt etwas gab, was die Polizei hier untersuchenswert finden konnte, so würde die Firma die Ermittlungsabsichten
mit einer angemessenen Summe zu besänftigen wissen.
Die junge Sekretärin, die auf Veras Platz saß, war nicht dieselbe, die vor drei Tagen versucht hatte, ihr den Zutritt zu ebendiesem
Büro zu verweigern. Anscheinend hatte Rai sich beeilt, eine tatkräftigere Vertretung zu finden. Als sie eintraten, wandte
die Sekretärin ein, sie müssten kurz warten. Hugo baute sich vor ihr auf.
»Junge Frau«, sagte er. »Wissen Sie, ich bin schon länger im Unternehmen, als Sie auf der Welt sind. Also sagen Sie mir nicht,
was ich zu tun und zu lassen habe, klar!?«
Dann klopfte er ihr sanft auf die Schulter, ging auf Rais Büro zu und öffnete auch diese Tür, ohne anzuklopfen. Rai saß in
dem Chefsessel, den wenige Tage zuvor noch Alberto Hernán innegehabt hatte. Er blätterte seelenruhig in einem schwarz eingebundenen
Buch. Die Unterbrechung schien ihn ebenso wenig zuüberraschen wie neulich, als Isabel ihn beim Einräumen gefunden hatte.
»Macht bitte die Tür zu«, sagte er, ohne aufzublicken.
Isabel kam seiner Bitte nach. Hugo nahm auf der Schreibtischkante Platz und sah Rai von der Seite an.
»Ich hoffe, unser kleiner Spontanbesuch kommt dir nicht ungelegen.«
Rai klappte das Buch zu und legte es auf den Tisch. »Ehrlich gesagt, habe ich damit gerechnet, dass ihr früher oder später
hier aufkreuzen würdet.«
»Wie das?«, fragte Hugo.
»Ich nehme an, ihr wollt mir einige Fragen stellen. Setzt euch doch.«
Isabel nahm Platz. Sie hatte eine Menge Fragen, zog es jedoch vor, erst einmal zu schweigen und dem Schlagabtausch zwischen
den beiden Männern zu lauschen.
»Also, worum geht’s?«, erkundigte sich Rai. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Arme.
»Du hast dich ja schnell an diesen bequemen Sessel gewöhnt«, sagte Hugo. Rai nickte, ohne etwas zu erwidern. »Aber der Posten
bringt auch gewisse Verpflichtungen mit sich, oder? Und eine davon besteht darin, zu wissen, wo deine Untergebenen bleiben.
Also, wo steckt Cassandra?«
Rais Mund verzog sich zu einem Lächeln. Er richtete sich im Sessel auf.
»Das ist ein weit verbreiteter Irrtum«, sagte er. »Ich muss keineswegs wissen, was meine Untergebenen tun, wenn sie nicht
an ihrem Arbeitsplatz sind. In diesem konkreten Fall kann ich dir allerdings eine Auskunft geben. Cassandra befindet sich
meines Wissens in einer Klinik und wird sediert.«
Hugo sprang auf. »Was soll das heißen?«
Rai sah die beiden an. Er hatte immer noch dieses sarkastische Grinsen im Gesicht.
»Nun ja«, setzte er an, »eigentlich sollte ich diese Information ja nicht an euch weitergeben, und ich hoffe, dass ihr nichts
herumerzählt.Offenbar wurde sie gestern in einem Hotelzimmer in der Nähe ihrer Wohnung aufgefunden. Sie soll wie verrückt geschrien haben,
und vielleicht ist sie auch wirklich verrückt, sie hat sich nämlich mit einer Schere das Trommelfell durchbohrt.«
Rai lehnte sich erneut in seinem Sitz zurück und beobachtete die Reaktion der beiden. Es blieb einige Sekunden lang still.
Hugo fand als Erster die Sprache wieder.
»Was erzählst du uns da für einen Mist?«
»Du hast schon richtig gehört.« Rai trat an das große Fenster und sah nach draußen. »Offenbar ist Cassandras Geisteszustand
deutlich schlechter als ihre körperliche Verfassung. Die Polizei hat sie befragt, aber sie redet nur wirres Zeug von dem Kind,
das sie verloren hat. Soweit ich weiß, hatte sie tagelang nicht geschlafen.«
»Und wo ist sie?«, erkundigte sich Isabel.
»Das kann ich euch wirklich nicht sagen. Ich möchte keinen Ärger bekommen.«
Hugo hatte die Hände zur Faust geballt und schien sich jeden Augenblick auf Rai stürzen zu wollen.
»Du willst keinen Ärger bekommen? Was ist eigentlich los mit dir? Cass ist unsere Freundin. Es interessiert mich einen Dreck,
ob die Bosse das Thema unter
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