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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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nicht, wo Cassandra eingewiesen worden ist. Ich weiß nur, dass die Firma mir vertraut, und
     ich vertraue ihr. Wenn das bei dir anders ist, Isabel, dann geh. Du bist jung, du findest bestimmt einen neuen Job. Vielleicht
     bist du nicht belastbar genug, um den Druck auszuhalten, den ein Global Player mit sich bringt.«
    Isabel seufzte und sah ihn mit geröteten Augen an. O nein, dachte Rai, das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, war, dass
     sie gleich in Tränen ausbrach.
    »Rai, bitte, hilf mir.«
    »Tut mir leid«, wiederholte er kopfschüttelnd. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich habe wirklich viel zu tun.«
    Isabel widersprach nicht. Sie stand auf, warf ihrem Vorgesetzten einen letzten Blick zu und ging hinaus. Rai hörte, wie auch
     die Tür zum Vorzimmer ins Schloss fiel. Gleich darauf klopfte jemand an.
    »Ja?«
    »Alles in Ordnung, Señor Lara?« Die Sekretärin steckte den Kopf herein und sah ihn besorgt an.
    »Ja, danke, alles in Ordnung.«
    Die junge Frau zog die Tür wieder zu. Rai schloss die Augen. Von wegen alles in Ordnung. Der letzte Blick von Isabel. Warum
     hatte sie ihn so angesehen? Als sie zurückgekommen war, hatte er nicht den geringsten Zweifel gehabt. Es musste sich um einen
     weiteren Winkelzug Hugos handeln, einen Trick, um ihn hereinzulegen und mehr Informationen aus ihm herauszuholen. Aber dann
     hatte er begriffen, dass er sich getäuscht hatte. Isabel war aus eigenem Antrieb gekommen, und dieser letzte verlorene Blick   … Er hatte behauptet, er wisse nicht mehr, aber sie hatte zu Recht weitergefragt. Er wusste mehr, viel mehr, aber er würde
     es ihr nicht erzählen. Ihr nicht und ebenso wenig Hugo, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Wie die Dinge lagen, konnte er
     niemandemvertrauen. Auf einmal fielen ihm Isabels Worte ein, sie brauche den Job, damit sie und ihr Bruder über die Runden kämen. Wie
     lange hatte er ihren kleinen Bruder schon nicht mehr gesehen? Er war ihm ein paarmal auf dem Korridor begegnet, vor langer
     Zeit, diesem Jungen mit dem Hinkebein und dem Dauergrinsen.
    Rai kehrte an seinen Schreibtisch zurück und nahm den Telefonhörer ab. Wenn Isabel die gleiche Hartnäckigkeit an den Tag legte,
     die sie sonst bei der Arbeit zeigte, würde sie so lange nicht lockerlassen, bis sie die Antworten auf ihre Fragen bekommen
     hatte. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder er ließ sie machen oder er hinderte sie daran. Rai wartete das Freizeichen
     ab und wählte dann eine dreistellige Durchwahlnummer. Am anderen Ende der Leitung meldete sich jemand, und Rai begann zu erklären,
     was vorgefallen war. Isabel würde keine Antworten bekommen. Dafür würde er sorgen.

16
    »Ich weiß, das war ziemlich dumm.« Hugo saß in seinem Bürosessel und sah zerknirscht auf seine Schuhe. »Statt diesen Idioten zu einer Antwort
     zu zwingen, habe ich nur erreicht, dass er jetzt erst recht gegen uns ist.«
    Isabel trat zu ihm. »Du hast ihn nur«, sagte sie tröstend, obwohl beide wussten, dass da mehr gewesen war. »Er wird verstehen,
     dass du dir Sorgen machst, wie wir alle.«
    »Ach ja?« Hugo hob den Kopf. »Den meisten hier scheint es doch egal zu sein, was mit Alberto und allen anderen passiert. Weißt
     du, wie viele Leute mich nach Cass gefragt haben? Niemand. Keine Sau. Und wenn ich nicht bei ihr im Büro vorbeigeschaut hätte,
     um mich wegen gestern zu entschuldigen, hätte ich wahrscheinlich auch nicht mitbekommen, dass sie nicht da ist. Aber ich frage
     mich, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass sie in eine Klinik eingewiesen worden ist. Sofern das überhaupt stimmt. Man
     hat ihr gestern schon angemerkt, dass es ihr schlecht ging, aber dass sie über Nacht gleich durchdreht?! Ich verstehe es einfach
     nicht, Isabel. Und keiner verschafft mir Klarheit, nicht mal meine alten Freunde. Herrgott noch mal! Bislang dachte ich, es
     gibt für alles eine Erklärung, aber jetzt scheint mir, dass mich die Sache überfordert. Am Ende wird es doch das Beste sein,
     die Polizei einzuschalten.«
    Isabel nickte. Rai hatte ihr gerade gesagt, die Polizei sei schon informiert, aber das verschwieg sie lieber. Bestimmt würde
     Hugo es ihr übelnehmen, dass sie sich bei Rai entschuldigt hatte.
    »Schau mal«, sagte Isabel und rückte ihren Stuhl näher, »Carlos kann jeden Augenblick aus dem Koma erwachen. Wenn eruns erzählt, was passiert ist, werden wir wissen, ob es etwas mit Alberto zu tun hat.«
    »Und mit Cass«, fügte Hugo hinzu. »Isabel, es muss hier einen

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