Der 3. Grad
ungelösten Mordfälle, die in meinem Büro an der Tafel standen. Und die Tatsache, dass Molinari der zweitmächtigste Vertreter der Strafverfolgungsorgane in diesem Land war. Und wenn ich das leichte Kribbeln, das mir in diesem Moment über den Rücken lief, richtig deutete, war es protokollarisch gesehen nicht gerade ratsam, mitten in den Ermittlungen in zwei viel beachteten Mordfällen die altbewährte chinesische Mauer zwischen den Behörden niederreißen zu wollen.
»Um elf Uhr geht noch eine Maschine nach San Francisco«, sagte Molinari. »Ich verspreche Ihnen, dafür zu sorgen, dass Sie rechtzeitig am Flughafen sind. Nun geben Sie sich schon einen Ruck, Lindsay.«
Als ich weiter zauderte, stand er auf. »Also, wenn Sie der Homeland Security nicht trauen können... wem dann?«
»Aber nur unter zwei Bedingungen«, sagte ich.
»Okay«, stimmte der Vizedirektor zu. »Wenn ich sie einhalten kann.«
»Fisch«, sagte ich.
Molinari ließ den Ansatz eines Lächelns sehen. »Da kenne ich genau das Richtige, glaube ich...«
»Und keine FBI-Agenten.«
Molinari warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. »
Das
kann ich Ihnen hundertprozentig garantieren.«
50
»Genau das Richtige« – das war, wie sich herausstellte, ein kleines Restaurant namens
Catch
in der Vine Street, die mich irgendwie an die Union Street bei uns in San Francisco erinnerte – voller Szenelokale und kitschiger Boutiquen. Der Oberkellner führte uns zu einem ruhigen Tisch im hinteren Teil.
Molinari fragte, ob ich ihm die Auswahl des Weins überlassen würde, und bestellte uns dann einen Pinot Noir aus Oregon. Er nannte sich einen »heimlichen Feinschmecker« und sagte, was er an seinem Leben am meisten vermisse, sei die Möglichkeit, einfach mal nur zu Hause zu bleiben und in der Küche herumzuwerkeln.
»Und das soll ich Ihnen jetzt glauben?« Ich grinste.
Er lachte lauthals. »Na, ich dachte, ich kann's ja mal versuchen.«
Als der Wein kam, erhob ich mein Glas. »Vielen Dank. Dafür, dass Sie sich heute Nachmittag hinter mich gestellt haben.«
»Nichts zu danken«, entgegnete Molinari. »Ich war lediglich der Meinung, dass Sie Recht hätten.«
Wir bestellten das Essen, und dann unterhielten wir uns über alles Mögliche, nur nicht über die Arbeit. Er interessierte sich für Sport – was mir ganz recht war –, aber auch für Musik, Geschichte, alte Filme. Mir fiel auf, dass ich viel lachte und gebannt zuhörte, dass die Zeit wie im Fluge verging und dass für eine Weile all diese entsetzlichen Dinge Millionen von Meilen weit weg zu sein schienen.
Schließlich erwähnte er auch eine Exfrau und eine Tochter drüben in New York.
»Ich dachte, auf Ihrer Ebene müssten alle Staatsbediensteten eine treu sorgende Gattin zu Hause haben«, sagte ich.
»Wir waren fünfzehn Jahre verheiratet und vier geschieden. Isabel ist in New York geblieben, als ich in Washington anfing. Anfangs war es nur eine neue Stelle. Aber was soll's.« Er lächelte wehmütig. »Wenn ich könnte, würde ich es heute anders machen – wie so vieles. Und Sie, Lindsay?«
»Ich war auch einmal verheiratet«, sagte ich. Und dann überraschte ich mich selbst, indem ich Molinari meine ganze Geschichte erzählte – wie ich, kaum fertig mit dem College, in die Ehe hineingeschlittert war, nur um drei Jahre darauf wieder geschieden zu sein. Seine Schuld? Meine Schuld? Was spielte das schon für eine Rolle? »Vor ein paar Jahren war ich wieder mal kurz davor... Aber daraus ist nichts geworden.«
»So was passiert eben«, meinte er seufzend. »Vielleicht war's ja besser so.«
»Nein«, sagte ich. »Er ist ums Leben gekommen. Im Dienst.«
»Oh«, sagte Molinari. Ich wusste, dass es ihm ein wenig pein lich war. Und dann tat er etwas ganz Rührendes. Er legte mir die Hand auf den Unterarm – die Geste hatte überhaupt nichts Dreistes oder Unangemessenes – und drückte leicht zu. Dann nahm er die Hand wieder weg.
»Um ehrlich zu sein, ich bin in letzter Zeit nicht sehr viel ausgegangen«, sagte ich und hob den Blick. Und dann, um die Stimmung nicht zu trüben, fügte ich lachend hinzu: »Das ist meine beste Essenseinladung seit langem.«
»Geht mir genauso«, sagte Molinari lächelnd.
Plötzlich piepste sein Handy. Er griff in die Jackentasche. »Entschuldigung...«
Wer immer es war, er ließ Molinari kaum zu Wort kommen. »Natürlich, Sir, selbstverständlich ...«, sagte er fast pausenlos.
Sogar der Vizedirektor hat noch jemanden über sich
. Dann sagte er:
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