Der 3. Grad
Ihren Füßen steht in Flammen.
Die Stimme des Volkes soll gehört werden
.‹«
Lemouz sah mir tief in die Augen. »Ein Ereignis, das in den Geschichtsbüchern Ihres Landes nur eine Randnotiz darstellt, Lieutenant, aber dennoch ein inspirierender Moment. Und manch einen hat er ganz offensichtlich inspiriert.«
75
Hier würden bald Menschen sterben. Ziemlich viele Menschen sogar.
Charles Danko saß vor dem großen Brunnen im prächtigen, glasüberdachten Atrium des Rincon Center an der Market Street nahe der Bay Bridge. Er tat so, als ob er den
Examiner
las, während vor ihm in einem atemberaubenden Spektakel die Wassersäule aus fünfundzwanzig Metern Höhe in ein flaches Becken stürzte.
Amerikaner lieben es groß und eindrucksvoll
, dachte er bei sich. Das sah man an ihren Filmen, an ihrer populären Kunst und sogar an ihren Einkaufszentren.
Ich werde ihnen eine eindrucksvolle Inszenierung liefern. Mit dem Tod in der Hauptrolle
.
Bald würde hier die Hölle los sein, das wusste Danko genau. Die Restaurants des Rincon bereiteten sich schon auf den mittäglichen Ansturm vor. Tausend Menschen oder mehr, die aus den engen Büros der Anwaltskanzleien, Immobilienfirmen und Geldinstitute des umliegenden Finanzviertels hierher strömten.
Zu schade, dass sich das nicht noch ein bisschen länger ausdehnen lässt
, dachte Charles Danko und seufzte bedauernd, wie jemand, der sehr lange auf seinen großen Moment hatte warten müssen. Das Rincon Center gehörte inzwischen schon zu seinen Lieblingsplätzen in San Francisco.
Danko gab nicht zu erkennen, dass er den gut gekleideten Schwarzen bemerkt hatte, der sich neben ihm niedergelassen hatte. Er wusste, dass der Mann ein Golfkriegsveteran war; seit seiner Rückkehr mutlos und ohne Perspektive. Verlässlich, wenn auch vielleicht ein wenig nervenschwach.
»Mal meinte, ich könnte ›Professor‹ zu Ihnen sagen.« Der Schwarze sprach aus dem Mundwinkel.
»Und du bist Robert?«, fragte Danko.
Der Mann nickte. »Der bin ich.«
Eine Frau begann auf dem Flügel in der Mitte des Atriums zu spielen. Jeden Tag von zehn bis zwölf. Eine Melodie aus dem Musical
Das Phantom der Oper
erfüllte den gewaltigen Raum.
»Du weißt, nach wem du Ausschau halten musst?«, fragte Danko.
»Das weiß ich«, antwortete der Mann mit fester Stimme. »Ich werde meinen Job erledigen. Wegen mir müssen Sie sich keine Gedanken machen. Ich bin ein sehr guter Soldat.«
»Es muss der richtige Mann sein«, sagte Danko. »Du wirst ihn gegen zwölf Uhr zwanzig den Platz betreten sehen. Er wird ihn überqueren und eventuell dem Klavierspieler ein bisschen Kleingeld in den Hut werfen. Dann wird er ins Yank Sing gehen.«
»Sie scheinen sich sehr sicher zu sein, dass er aufkreuzen wird.«
Jetzt endlich sah Danko den Mann an und lächelte. »Siehst du diese Wassersäule, Robert? Sie stürzt aus einer Höhe von exakt sechsundzwanzig Komma ein Meter herab. Das weiß ich, weil ich sehr lange Zeit auf diesem Platz verbracht habe. Ich habe den Winkel zwischen einer gedachten Linie, die aus der Mitte des Beckens zu dieser Bank führt, und derjenigen zwischen diesem Punkt und der Spitze der Säule gemessen. Ich habe ein perfektes Augenmaß. Davon ausgehend war es ein Leichtes, die Höhe der Wassersäule zu berechnen. Weißt du, wie viele Tage ich hier gesessen und den Brunnen beobachtet habe, Robert? Mach dir keine Sorgen, er wird hier sein.«
Charles Danko stand auf. Die Aktentasche ließ er liegen. »Ich danke dir, Robert. Du hast dich zu einer sehr mutigen Tat entschlossen. Einer Tat, für die dir nur sehr wenige je Dank zollen werden. Viel Glück, mein Freund. Heute wirst du zum Helden.«
Und du nutzt zugleich meiner Sache
.
76
Die Luft war feucht, und ein paar Tropfen fielen vom Himmel, als wir an jenem Nachmittag in Highland Park, Texas, von Jill Abschied nahmen. Es war nicht das erste Mal, dass ich einen geliebten Menschen auf seinem letzten Weg begleitet hatte. Aber noch nie zuvor hatte ich mich so leer gefühlt, so starr vor Trauer. Und noch nie so betrogen.
Die Synagoge war ein moderner Ziegel- und Glasbau mit einem lichtdurchfluteten, pyramidenförmigen Allerheiligsten. Die Zeremonie wurde von einer Rabbinerin geleitet, was Jill bestimmt gefallen hätte. Alle waren erschienen: Chief Tracchio, Oberstaatsanwalt Bennett Sinclair; Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus ihrem Büro; Claire, Cindy und ich. Und eine Gruppe von ehemaligen Mitschülerinnen und Kommilitoninnen, mit denen Jill über die Jahre
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