Der 50-50 Killer
offensichtlich aus der Fassung gebracht.
Er hatte auch mich durcheinandergebracht. Denn er schien uns damit zu sagen, der 50/50-Killer habe seine Vorgehensweise nur aus einem Grund geändert: um uns einzubeziehen. Der Sinn der Sache war nicht nur, dass er uns verhöhnte. Aus Mercers Sicht drehte sich alles um ihn selbst. Der 50/50-Killer hatte uns mit Kevin Simpson auf sich aufmerksam gemacht und wartete nun geduldig im Wald, um zu sehen, ob der berühmte Detective John Mercer ihn vor Tagesanbruch finden und einem Mädchen das Leben retten konnte. Deshalb war es ihm nicht mehr wichtig, sich zu verstecken. Es war ein letztes Spiel, und der Einsatz war Jodie McNeices Leben.
Und das war doch bestimmt Blödsinn. Wenn ich ihn jetzt anschaute, verspürte ich eine Mischung aus Betroffenheit und Verlegenheit. An seiner Theorie war nichts, was den Fakten widersprach, aber es war auch kaum genug daran, um sie zu bestätigen. Sich ins Gedächtnis zu rufen, was Pete angedeutet hatte, bevor er das Krankenhaus verließ, war nur allzu leicht. Es war eher wahrscheinlich, dass Jodie tot war. Für Mercer aber war es einfach notwendig, dass sie noch lebte, damit er sie retten und diesen Mann besiegen konnte. Dieses verzweifelte, jetzt kaum noch verborgene Bedürfnis schien eine viel bessere Erklärung für seine Theorie zu sein als deren Wahrheitsgehalt.
Er seufzte und beugte sich wieder vor.
»Es spielt sowieso keine Rolle. Was haben wir noch?«
»Ah«, Simon war vergnügt wie immer. »Die Freuden des Wohnzimmers.«
Es schien nach diesem Ausbruch unpassend, einfach weiterzumachen, aber Greg schüttelte nur leicht den Kopf und wandte sich wieder dem Laptop zu. Er minimierte die Fotos der zurückgelassenen Gerätschaften des Mörders und öffnete die nächste Datei.
Es war eine Aufnahme des Wohnzimmers von der Tür aus. Ganz in der Nähe der Kamera stand ein Esstisch aus Glas mit einem Computer darauf und dann, etwas weiter weg, hellbraune Möbel vor einem Fernseher in der Fensterecke. Der Fernseher war angeschaltet. Auf halber Länge der rechten Wand führte eine Tür in einen Raum, der wie eine Küche aussah. Ein stabiler Metallstuhl lag mitten im Raum auf der Seite, und auf dem Boden waren Glasscherben.
»Okay«, sagte Mercer. »Wir haben Anzeichen dafür, dass Banks im Wohnzimmer angegriffen wurde, was zu dem passt, woran er sich bis jetzt erinnert.«
»Zufällig irgendwo ’n Baby gesehen, Simon?«, erkundigte sich Greg sarkastisch.
Simons Gesichtsausdruck veränderte sich langsam. Zum ersten Mal an diesem Tag sah er verwirrt aus.
»Wieso fragst du?«
»Weil Banks sich erinnert, dass der Killer ein Kind dabeihatte, natürlich.« Greg runzelte die Stirn. »Wie – du hast doch nicht tatsächlich eins gesehen, oder?«
»Nein, nein.« Simon schob gedankenverloren die Lippen vor. »Aber es ist interessant. Hunter war vorhin in den Nachrichten. Eigentlich schon den ganzen Tag. Sein Team bearbeitet eine Kindesentführung.«
Einen Moment war nur das Summen der Computer zu hören, und plötzlich wurde es von einem Knacken in den alten Wasserleitungen des Umkleideraums unterbrochen.
Ich warf einen raschen Blick zu Mercer hinüber. Er schaute zu Boden, dieselbe Reaktion, die er gezeigt hatte, als ich ihm berichtet hatte, was Scott über das Baby gesagt hatte. Er schien nicht überrascht. Eine Sekunde später wurde mir klar, warum.
Er wusste Bescheid.
Hunter war der Mann, der eigentlich den 50/50-Fall hätte leiten sollen. Jetzt fahndete er nach einem entführten Kind. Mercer hatte das gewusst, und als ich ihm erzählte, was Scott gesagt hatte, hatten bei ihm die Alarmglocken geschrillt. Er würde sich diese Ermittlung nicht aus der Hand nehmen lassen.
Ich schaute Greg an. Auch er hatte es gesehen. Auf sein Gesicht war ungläubige Verwunderung getreten.
Simon bemerkte nichts von alldem.
»Hat wahrscheinlich nichts miteinander zu tun«, meinte er.
»Es geht um Probleme mit dem Sorgerecht, also suchen sie den Vater. Ich hab nur halb hingehört. Hab mich hauptsächlich darüber amüsiert, wie der reizende Mr. Hunter sich vor den Kameras produzierte.«
Mercer fuhr sich langsam übers Gesicht und sah auf.
»Schön. Es gibt da wohl keinen Zusammenhang. Ich schaue gleich nach.«
»Sollten wir das nicht jetzt machen?«
»Gleich.« Mercer funkelte Greg an und wandte sich wieder dem Monitor zu. »Was hast du noch für uns?«
Simon machte eine Pause; er spürte die Stimmung, die bei uns herrschte.
»Na ja, im Wohnzimmer steht
Weitere Kostenlose Bücher