Der 7. Tag (German Edition)
einer Kinderkrippe untergebracht und nachmittags half ein
französisches Au-pair-Mädchen über den gröbsten Arbeitsanfall hinweg. Trotzdem
hatte sich unser Verhältnis geändert. Unsere Welten waren einfach zu
verschieden geworden. Es gab keine Weiberabende mehr, an denen wir das Leben an
sich und im Besonderen durchhecheln konnten. Mir fehlte meine beste Freundin,
aber was sollte ich auch erzählen von meinem aufregenden Leben als
Einladungslistenkorrekturleserin. Ich lernte also kochen.
Kai-Uwe Blom robbt sich langsam vor: „Frau Thalheim
war sehr zielstrebig, nicht unbedingt systematisch. Aber was sie sich
vorgenommen hatte, setzte sie auch durch, im Ernstfall auch gegen ihre
Kollegen. Das machte sie nicht unbedingt beliebt.“
Michael brachte mich auf die rettende Idee mit der
Mitarbeiterzeitung. Ich entwarf ein Exposé und wanderte damit zu meinem
Abteilungsleiter. Ein paar Monate hörte ich nichts. Dann war es so weit: Die
Presseabteilung durfte eine Mitarbeiterzeitung für alle Standorte in
Deutschland herausgeben: 11.000 Auflage. Und ich durfte sie schreiben. Was an
sich nicht so interessant war. Aber ich musste die Interviews machen. Und so
gelangte ich, bewaffnet mit einem Kassettenrecorder in die Zimmer der
Vorstände. Ich war wieder im Rennen.
Diesmal allerdings habe ich meine guten Rat- und Vorschläge
für mich behalten und jede Zeile mit den Kollegen abgestimmt.
Michael war jetzt immer häufiger auf Geschäftsreisen. Ich
auch, denn ich musste die verschiedenen Konzernstandorte aufsuchen. Wir sahen
uns also immer seltener. Unsere Wohnung war in der Anfangsphase des Einrichtens
stehen geblieben, denn wenn wir mal ein gemeinsames Wochenende hatten, gab es
anderes zu tun, als Möbel anzuschauen. Wir saßen immer seltener in der Küche
und immer häufiger in den Restaurants der Umgebung. Im Grunde lebten wir wie
vor unserer Ehe.
„Sybille Thalheim nutzte, wenn es ihr sinnvoll erschien,
auch die Krankheit anderer, um selbst vorwärtszukommen.“ Ich wusste doch Blom,
dass du nicht vergessen hast, wie ich an dir vorbeigezogen bin.
Ich hatte aus meiner Schlappe gelernt und mir die
Assistenten der Vorstände zu Freunden gemacht. Dabei ging zwar eine Menge Zeit
drauf, die ich lieber mit Michael verbracht hätte, aber es brachte mich weiter.
Ich durfte jetzt ab und zu kleinere Pressekonferenzen moderieren und Projekte
auch schon mal (fast) eigenständig durchführen.
Der Durchbruch kam im April 2005. Bei der ängstlich
erwarteten Bilanzpressekonferenz passierte es: Der Pressesprecher des Konzerns
kippte ganz einfach vom Stuhl. Herzinfarkt. Ich handelte wie in Trance. Über
Walkie-Talkie rief ich die Johanniter, die sowieso in der Halle Dienst hatten.
Dann ging ich ans Mikrofon und bat die Journalisten um eine kleine Pause. Die
Mitglieder des Vorstands waren so entgeistert, dass sie nicht eines klaren
Gedankens fähig waren. Sie ließen mich einfach machen. Meine Kollegen von der
Presseabteilung liefen wie die Ameisen ungezielt durcheinander, ich griff mir
Sprechzettel und Ablauf, schaute dem Vorstandsvorsitzenden fest in die Augen
und sagte:
Wenn Sie wollen, kann ich übernehmen.
„Ja, ja, natürlich“, murmelte dieser. Ihm war es egal, wer
moderiert, Hauptsache die Bilanzpressekonferenz war so schnell wie möglich
überstanden. So wurde ich die Pressesprecherin eines Weltkonzerns.
Kai-Uwe darf abtreten. Wie muss er es genossen haben, mir
damals meine Kündigung zu überreichen. „Sie müssen verstehen, Frau Thalheim...“
Kurz vor Weihnachten 2005 passierte die erste wirkliche
Katastrophe meines Lebens. Mutti rief im Büro an. Das war ungewöhnlich, denn
normalerweise war sie von meinem Vater so erzogen worden, dass man im Büro
nicht stört. Meine Sekretärin legte mir den Zettel auf den Tisch.
„Vati ist mit der Feuerwehr ins Krankenhaus gebracht wurden,
Darmverschluss.“
Ich weiß nicht, wie ich diesen Tag überstanden habe. Ich
konnte nicht sofort weg, da ein Mittagessen mit Journalisten und unserem
Vorstand angesetzt war. Danach fiel ich zitternd ins Taxi. Ich kam zu spät.
Vati war während der Notoperation gestorben.
Mutti zog bis nach Weihnachten zu uns. Ach, wie liebevoll
hat Michael sich um sie gekümmert. Michaels Eltern waren bereits beide tot, er
hatte Mutti adoptiert. Auch für mich war eine Welt untergegangen. Ich hatte
meinen Vater abgöttisch geliebt. Warum habe ich ihm das nicht noch einmal so
richtig sagen
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