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Der 7. Tag (German Edition)

Der 7. Tag (German Edition)

Titel: Der 7. Tag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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unzurechnungsfähig war. Ich gehe davon aus,
dass Frau Thalheim ihren Ehemann getötet hat. Da diese Tat sich aber mit ihrer
sonstigen Persönlichkeit nicht deckt, weigert sich, laienhaft ausgedrückt, ihr
Gedächtnis, das Geschehene zu verifizieren.“
    Jetzt wird es spannend.
    „Herr Dr. Bergmann“, fragt die Vorsitzende Richterin, „ist
die Angeklagte ihres Erachtens nach schuldfähig.“
            Bergmann legt eine Schweigesekunde ein, die sich zu
Minuten auszudehnen scheint.
            „Wenn Sie von mir wissen wollen, ob die Angeklagte
im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war, dann muss ich sagen ja. Sie hat ganz
offensichtlich sogar sehr logisch und vorausschauend gehandelt. Wenn Sie von
mir wissen wollen, ob die Angeklagte im Affekt gehandelt hat, dann würde ich trotzdem
sagen, ja, sie hat ihre Rachephantasien, die für ihre seelische Hygiene
überlebensnotwendig waren, im Affekt in die Tat umgesetzt. Bitte stellen Sie
sich das in etwa so vor: Die Angeklagte ist erst frustriert und dann wütend.
Sie kann ihren Frust und ihre Wut allerdings an niemandem auslassen. Erst als
sie die Nachricht bekommt, dass ihr verschwundener Ehemann wieder auftaucht,
hat sie endlich ihr Zielobjekt gefunden. Alle Frustration, alle Wut richten
sich gegen Michael Thalheim, ihren Ehemann. Und im Augenblick der Konfrontation
hat sie sozusagen einen Nervenzusammenbruch. Sie setzt, ohne es wirklich zu
wollen, ohne es wahrzunehmen, ihre Rachephantasien in die Tat um. Nein, Frau
Thalheim ist meiner Meinung nach nicht schuldfähig.“
     
    Im Gerichtssaal bricht ein Tumult aus. Die Vorsitzende
Richterin hat Mühe, die Verhandlung zu schließen. Keiner hört mehr zu, die
Journalisten haben bereits den Raum verlassen.

Berliner Tageszeitung

Der eiskalte Engel –
Sybille Thalheim im Spiegel der Zeugen
     
    Berlin - Tumult vor dem Schwurgericht Moabit: Der
Psychiatrische Gutachter erklärt Sybille Thalheim für schuldunfähig. Die
38jährige ist angeklagt, ihren Ehemann Michael Thalheim im vergangenen Februar
in einem Lichtenrader Hotel erstochen zu haben. „Die aufgestauten Aggressionen,
die Rachephantasien, die für sie überlebensnotwendig gewesen sind, haben sich
im Affekt entladen und zur Tat geführt.“ Deshalb könne Frau Thalheim sich nicht
an die Tat erinnern, sie passe nicht zu ihrer Persönlichkeit.
    Am sechsten Prozesstag haben weitere Zeugen
versucht, die Persönlichkeit der 38jährigen Angeklagten darzustellen. Glaubt
man den Zeugen, die heute vor Gericht erschienen, so war Sybille Thalheim eine
kalt kalkulierende Frau: Ihr erstes Kind ließ sie abtreiben, um Karriere zu
machen. Sie verließ ihre Eltern und ihren Verlobten, um in Atlanta eine
Ausbildung zu absolvieren. „Nicht teamfähig“, lautete das Urteil ihrer
ehemaligen Kollegen. Sie nutzte den Herzinfarkt eines Kollegen, um seine
Position als Pressesprecher zu bekommen. Sie nahm ihrer Mutter das Haus weg, um
selbst eine Villa zu kaufen. In rasender Wut stach sie auf einen Stoffbären mit
exakt der gleichen Anzahl Stiche ein, mit denen ihr Ehemann getötet wurde. Die
Vernehmung der Zeugen ist abgeschlossen. Der Prozess wird in der kommenden
Woche mit den Plädoyers des Staatsanwalts und des Verteidigers fortgesetzt.

Der siebente Prozesstag
     
    Heute geht es in die entscheidende Runde. Ulli wird sein
Plädoyer halten. Ich bin erstaunlich gelassen. Ganz im Gegenteil zum letzten
Prozesstag, der mich ziemlich mitgenommen hatte. Die ganze Woche über ist mir
Irene Semmler nicht aus dem Kopf gegangen. Wie Menschen doch böse denken
können. Und natürlich der Psychiatrische Gutachter. Er könnte recht haben, aber
hat er recht? Ich glaube immer noch nicht, dass ich es wirklich getan habe. Der
Gerichtssaal ist heute noch voller als an den letzten Gerichtstagen.
    Ulli ist nervös. Ich sehe es daran, wie er mit dem
Kugelschreiber spielt. Mein Gott, ich kenne dich so gut Ulli.
     
    Nervös saß ich im Wartezimmer von Gabis nagelneuer Praxis.
Sie hatte zusammen mit einer Kollegin eine Praxis von einem Onkel auf
Rentenbasis übernommen. Die beiden Mädels teilten sich den Dienst, morgens war
Gabi dran, nachmittags ihre Kollegin. Meine Regel war ausgeblieben.
    Bitte, bitte, lieber Gott, flehte ich innerlich, lass es
diesmal geklappt haben. Ich war 36 Jahre alt, viel Zeit blieb mir nicht mehr,
um Mutter zu werden. Die Minuten des Wartens zogen sich zu Stunden. Ich
blätterte in den Heften mit den Ratschlägen für werdende Mütter. Mein Hals war
trocken, meine

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