Der 7. Tag (German Edition)
können?
Sie haben doch tatsächlich Irene Semmler ausgegraben. Die
Semmler hat jahrelang für meine Eltern geputzt und später auch für mich. Ich
habe Frau Semmler immer gemocht. Ihre kleinen Wehwehchen gehörten ebenso zu
unserem Familienalltag wie ihre großen Katastrophen. Und die passierten in
ihrem Leben eigentlich ständig. Die Semmler war mit meinen Eltern alt und grau
geworden. Sie muss jetzt fast siebzig sein, ich habe sie lange nicht mehr
gesehen.
Zu meinem größten Erstaunen hat mein Vater mir dreihundertfünfzigtausend
Euro vermacht. Ich war davon ausgegangen, dass Mutti alles bekommen würde.
Daddy hatte mir das Geld mit einer Auflage hinterlassen: Ich sollte davon ein
Haus kaufen. Er hatte wohl gemeint, dass man früh genug damit anfangen muss.
Und Mutti war gut versorgt.
„Sybille Thalheim war ein verzogenes Mädchen. Sie hat sich
nie um den Haushalt gekümmert, weder bei ihrer Mutter noch als sie verheiratet
war.“
Hilfe, was habe ich der Semmler denn angetan? Natürlich
musste ich ihr kündigen, wovon hätte ich sie denn noch bezahlen sollen?
Irgendwann hörte ich meine biologische Uhr ticken. Immer
öfter redeten Michael und ich jetzt über ein Kind. Der Tod meines Vaters hatte
mich wieder auf die wesentlichen Dinge des Lebens gebracht. Beruflich hatte ich
erreicht, was ich erreichen wollte. Wir machten uns also auf die Suche nach
einem Haus. Das war nicht ganz so einfach, wie ich gedacht hatte. Denn die
Immobilienpreise waren dermaßen gestiegen, dass das, was uns gefiel, schlicht
nicht erschwinglich war. Wir waren inzwischen an große Räume, Stuckdecken und
Parkett gewöhnt. Ich setzte die Pille ab.
„Der Thalheim war ihre Karriere immer wichtiger als ihre
Familie. Ihre Mutter hat sehr darunter gelitten, dass sie nach Amerika gegangen
ist, statt zu heiraten. Gott sei Dank wusste ihre arme Mutter nicht, dass sie
in der Zeit noch eine Abtreibung gemacht hat.“
Himmel, ich Idiot. Das hatte ich der Semmler tatsächlich in
einer schwachen Stunde mal erzählt. Bille, du redest zu viel!
Und dann standen wir vor unserem Traumhaus. Eine Villa von
1906 in Berlin-Zehlendorf, in der Nähe vom Schlachtensee. 1,1 Millionen. Lieber
Gott, 1,1 Millionen. Wir streiften durch den verwilderten Garten, die
wunderbaren Räume und träumten. Fünfhunderttausend bekamen wir gerade noch mit
dem von meinem Vater und von Michaels Eltern ererbten Geld zusammen. Wir
brauchten also sechshunderttausend. Die Kreditkosten würden uns umbringen.
Trotzdem zeigten wir Mutti das Haus. Sie war so begeistert,
dass sie uns einen Vorschlag machte: Das Haus, das sie in Dahlem bewohnte, war
für sie alleine sowieso zu groß. Sie würde es verkaufen und wir könnten mit dem
Geld und einem Kredit die Villa kaufen.
Sie hatte eine Bedingung: Die Einliegerwohnung im hinteren
Teil des Hauses wollte sie dafür mietfrei beziehen. Michael und ich haben lange
darüber diskutiert. Und dann haben wir es gemacht. Wir kauften das Haus.
„Die Sybille und ihr Mann waren völlig rücksichtslos. Die
Thalheims haben sogar der alten Frau Wiegand, was die Mutter von der Sybille
ist, das Haus weggenommen. Frau Wiegand musste das Haus verkaufen, damit die
Thalheims diese Protzvilla in Zehlendorf kaufen konnten. Dafür durfte Frau
Wiegand dann in den Keller ziehen. Na danke, habe ich damals zu Frau Wiegand
gesagt, wie können Sie so etwas nur zulassen. Aber sie wissen ja, wie Mütter
sind.“
Na danke, Frau Semmler, wenn ich gewusst hätte, wie sie über
mich denken, hätte ich mir wohl das jährliche Weihnachtsgeld, die Zuschüsse zu
ihren Urlaubsreisen und die vielen kleinen Aufmerksamkeiten erspart, mit denen
ich versucht habe, ihr Leben leichter zu machen. Und ihre dämlichen
Katastrophengeschichten hätte ich mir dann auch nicht angehört.
Das neue Haus war himmlisch. Ich stürzte mich kopfüber in
die Pflege und Umgestaltung des parkähnlichen, aber völlig verwilderten Gartens.
Während ich zu Hause bei Mutti um jede Schaufel einen großen Bogen gemacht
hatte, hier konnte ich gar nicht genug bekommen vom Buddeln. Die Sammlung
englischer Gartenbücher schwoll an. Mutti saß manchmal am Wochenende auf der
Terrasse und schaute ihrer Tochter kopfschüttelnd zu.
Sie war die entzückendste Mitbewohnerin, die man sich denken
konnte. Die meiste Zeit war sie nicht da. Mutti hatte Italien entdeckt. In
Montegrotto ließ sie sich Fango um den Leib wickeln und genoss wahrscheinlich
zum ersten Mal in ihrem Leben
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