Der 7. Tag (German Edition)
feststellte, dass die
„Apricot d‘Arbay“ heute besonders gut dufteten. Ich konnte allein vom Duft her
die einzelnen Rosen unterscheiden. Die einen dufteten nach Pfirsich, die
anderen wie Gesichtswasser, die nächsten wie Marzipan.
Mutti hatte Tapeten und Gardinenbücher heran geschleppt und
wir diskutierten, wie wir das immer noch leer stehende Kinderzimmer einrichten
würden. Wir warten, bis wir wissen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird,
hatte ich entschieden.
„Aber man kann sich doch schon mal Alternativen überlegen“,
meinte Mutti und Michael war sofort dabei. Wir haben Namensbücher gewälzt und
uns gegenseitig vorgelesen.
Wegen der Namen haben wir uns gestritten wie die
Kesselflicker, denn jeder Name war natürlich Programm. Und so entwarfen wir uns
unser Kind. Wie wir es wollten, was es für einen Charakter haben sollte, wie
wir es erziehen würden. Mutti dachte sich wohl ihren Teil, schließlich war ich
nicht gerade so gelungen, wie Mutti sich das vorgestellt hatte.
Ulli ist jetzt bei dem Abend vor Michaels Tod. Er fasst
nochmals alle Zeugenaussagen zusammen:
„Sybille Thalheim sitzt einsam und verzweifelt in der
Gaststube ihres Hotels an der Stadtgrenze. Sie isst nichts, sie trinkt, sie ist
nervös, trommelt mit den Fingern auf das Tischtuch. Es beschäftigt sie die
eine, immer wiederkehrende, bohrende Frage: Warum hat er mich verlassen? Und
dann wird ihr irgendwie komisch. Sie geht auf die Toilette. Ihr ist so
schwindelig, dass sie sich festhalten muss. Sie schlüpft durch die Hintertür,
um ein bisschen frische Luft zu schnappen.“
Mir wird schon beim Zuhören schwindelig. Nein, ich will mich
nicht daran erinnern. Ich will nicht, ich will nicht. Ich will daran denken,
wie schön es früher war.
An einem Abend im Juli zeichnete Michael unser Kind: Es
hatte meine braunen Wuschellocken, kugelrunde braune Augen und den fein
geschwungenen Mund und die klassische Nase des Vaters. In der vordersten
Zahnreihe hatte Michael zwei Zähne fehlen lassen. Ja, genauso würde unser Kind
in vier Jahren aussehen, da waren wir ziemlich sicher.
„Sybille Thalheim wankt in ihr Hotelzimmer“, sagt Ulli.
Oh Gott, Ulli. Michael. Bitte nicht, ich will das nicht.
Die ersten Dahlien in meinem Küchengarten läuteten den
August ein. Unseren fünften Hochzeitstag hatten wir nur für uns beide
reserviert. Es war Sonnabend und Michael brachte mir das Frühstück ans Bett.
Neben einer langstieligen roten Rose lag ein kleines Päckchen auf dem Tablett.
Es enthielt eine Kette mit einem Einkaräter, passend zu dem Ring, den Micha mir
auf der Interstate in Georgia überreicht hatte.
„Sie schließt ihr Zimmer auf und geht hinein. Sie zieht sich
aus. Sie holt das Küchenmesser aus ihrer Tasche und legt es auf den Tisch.“
In meinen Ohren saust das Blut. Ich habe Angst umzukippen.
Ulli, bitte, Ulli, warum? Nein, nicht, lasst mich doch in Ruhe! Oh Gott,
Michael. Das Blut. Dieses ganze Blut!
„Ich liebe dich, Bille, vielleicht sogar noch mehr als
damals in Georgia“, sagte Michael. Und wieder kam ein Gewitter mit einem
Landregen nieder. Wir liefen barfuß in unseren Garten und versuchten, die
dicken Regentropfen mit der Zunge aufzufangen. „Just singing in the Rain“.
Fünf Tage später war Michael verschwunden.
Ulli hat fünf Jahre zur Bewährung gefordert. Tötung im
Affekt. Ich habe Michael nicht im Affekt getötet. In mir schreit alles nein,
nein, nein.
Die Vorsitzende Richterin fragt, ob ich noch etwas sagen
möchte. Mir ist heiß, ich habe nasse Hände. In meinen Hals ist ein Kloß. Mein
Herz rast. Also nicke ich nur.
„Angeklagte, bitte erheben sich.“
Ich kann kaum stehen.
„Ich bekenne mich schuldig, den gewaltsamen Tod meines
Ehemanns Michael Thalheim geplant und herbeigeführt zu haben.“
Tageszeitung:
Überraschendes Geständnis im Thalheim-Prozess
Sybille Thalheim bekennt sich in allen Punkten der
Anklage schuldig
Berlin – Am siebenten Prozesstag kam es zu einer
überraschenden Wende im Thalheim-Prozess vor dem Schwurgericht Berlin. Nach dem
Plädoyer des Verteidigers Ullrich Henke, der Totschlag mit verminderter
Schuldfähigkeit als erwiesen ansah, stand die Angeklagte Sybille Thalheim (38)
auf und bekannte sich in allen Punkten der Anklage des Staatsanwalts schuldig:
„Ich bekenne mich schuldig, den gewaltsamen Tod meines Ehemanns Michael
Thalheim geplant und herbeigeführt zu haben.“
Der Verteidiger wurde blass, offensichtlich war
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