Der 7. Tag (German Edition)
fand sie. „Schließlich will ich noch was von meinem Enkel haben. Weiß
Micha es schon?“
„Nein, heute Abend werde ich es ihm sagen.“
Wir haben noch lange in der bereits ungewöhnlich heißen
Maisonne gesessen. Mutti hat Kaffee gekocht und mir erzählt, wie es war, als
sie Vati mein Kommen ankündigte.
„Weißt du“, hat sie gesagt, „du hast Glück. Michael will
Kinder und außerdem lebt ihr schon in gesicherten finanziellen Verhältnissen.
Das war bei uns damals anders. Zu der Engelmacherin, bei der ich beim ersten
Mal war, als ich schwanger war, wollte ich auf keinen Fall wieder hin. Daran
wäre ich fast gestorben. Da war es leichter, Vati beizubringen, dass er sich
gefälligst mit dir abfinden muss.“
Das hatte ich nicht gewusst. Mein über alles geliebter Vater
wollte mich nicht haben?
Ulli räuspert sich. Er schaut der Vorsitzenden Richterin
fest in die Augen. Ich kenne diesen bezwingenden Blick von ihm. Mal sehen, ob
sie widerstehen kann.
Ulli fasst mein Leben zusammen. Vor und nach dem
Verschwinden von Michael. Es hört sich irgendwie komisch an. Mein bester Freund
Ulli erzählt, wie ich mich gefühlt habe.
Du wirst niemals wissen, wie man sich fühlt, wenn du alles
verlierst, was dir lieb ist. Das ist wie Zahnschmerzen. Wie weh Zahnschmerzen
tun, weiß man immer nur in dem Moment, wenn man sie hat. Ich wünsche dir, mein
lieber Ulli, dass du nie alles verlieren wirst, was du je geliebt hast.
Der Tag, an dem ich erfuhr, dass ich schwanger war:
Ich schnitt Berge von Tulpen im Garten, der aussah, als hätte er sich extra für
diesen Tag herausgeputzt. In meinem Staudenbeet lächelten 500 rote Darwintulpen
auf die blauen Traubenhyazinthen hinab und strahlten mit den letzten gelben
Narzissen um die Wette. Rund um unseren kleinen Teich leuchteten hunderte von
Sumpfdotterblumen in ihrem satten Gelb. Die alten Scheinjasminbüsche
verströmten bereits verschwenderisch ihren süßlichen Duft aus den ersten weißen
Blüten und die Rhododendrenhecke stand kurz davor, in Lila, Rosa, Weiß und
Magenta zu explodieren. Nie ist dieser Garten schöner gewesen, als an diesem
Tag Anfang Mai, den ich als den glücklichsten Tag meines Lebens in Erinnerung
behalten werde.
Michael wusste sofort, was los war, als er nach
Hause kam. Unser Wohnzimmer sah aus, wie eine Einsegnungshalle. Ich hatte
überall Kerzen aufgestellt, jede Schale, jede Vase war mit Blumen gefüllt.
Unser Lieblingstisch, der in einem kleinen Erker stand, war gedeckt mit
Champagnergläsern, ich hatte die goldene Weihnachtstischdecke mit den dicken
Trotteln an der Seite aufgelegt und breitwürfig weiße Anemonenblüten darüber
gestreut. Mit einem Blick erfasste er die Situation.
„Bille, sag‘ dass es stimmt“, sagte er.
„Wir bekommen ein Baby, wir bekommen ein Baby!“
Ich hatte „unsere“ CD aufgelegt, Michael nahm mich in den
Arm und wir tanzten engumschlungen zu „Lady in Red“. Es war das einzige mal in
unserer Ehe, dass Michael geweint hat. Später nahm er mir den Champagner weg.
„Willst du, dass das Kleine auch betrunken wird?“ fragte er
liebevoll.
Ich aß ein Cornichon.
Ulli gibt sich Mühe. Er erzählt, wie ich mich auf mein Baby
gefreut habe. Wieso sagt er nicht, dass Michael sich auch auf das Baby gefreut
hat? Er ist doch fast ausgerastet vor Freude. Wir haben zusammen mit Gabi und
Ulli das Baby fürchterlich gefeiert an diesem warmen Maiwochenende. Michael
hatte Champagner kaltgestellt, wir haben bergeweise Spaghetti im Garten
vertilgt und Michael präsentierte sich als stolzer, werdender Vater. Bitte
Ulli, sag, dass es so war.
Es fiel mir schwer, in diesem Sommer zu arbeiten. Innerlich
hatte ich mich bereits von meinem Job gelöst. Ich schwebte auf Wolken, die von
keiner morgendlichen Übelkeit gestört wurden. Allerdings wurde mein Busen
täglich schöner, was Michael durchaus zu würdigen wusste. Wir ließen die
meisten gesellschaftlichen Verpflichtungen aus und genossen die Sommerabende in
unserem Garten. Mutti hatte einfach ihre Reise nach Montegrotto abgesagt, weil
sie fand, ich würde jetzt Hilfe brauchen. Jeden Abend, wenn wir nach Hause
kamen, fanden wir liebevoll gekochte Leckereien vor. Mutti betuttelte mich wie
eine Schwerkranke.
„Mutti, ich bin nicht krank, ich bin nur schwanger“, sagte
ich.
„Na und“, antwortete sie trocken.
Alles war jetzt intensiver geworden. Michael und Mutti
grinsten sich an, wenn ich am Tisch schnüffelte und
Weitere Kostenlose Bücher