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Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Titel: Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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fauchte er. »Spart euren Atem zum Laufen!«
    Josua wandte Deornoth ein verstörtes Gesicht zu. »Hast du nicht gehört?«, hauchte der Prinz. »Hast du nicht gehört?«
    Deornoth erschrak. »Was denn?«
    »Sechs Männer, zwei Frauen, ein Kind«, zischte Josua und sah sich nach allen Seiten um. »Zwei Frauen! Wo ist Vara?«
    Der Reiter schlug ihm das Speerende auf die Schulter, und der Prinz verfiel in gequältes Schweigen. Sie stapften zwischen den Reitern dahin. Am östlichen Himmel begann die Morgendämmerung zu schwelen.

    Rachel der Drache lag im dunklen Dienstbotenquartier auf ihrem harten Bett und hatte das Gefühl, sie könne das Knarren des Galgens hören, das den heulenden Wind übertönte, der durch die Zinnen pfiff. Neun neue Leichen, unter ihnen der Kanzler Helfcene, schwankten heute Nacht über dem Nerulagh-Tor und tanzten hilflos zur wilden Musik des Windes.
    In der Nähe weinte jemand.
    »Sarrah? Bist du das?«, wisperte Rachel. »Sarrah?«
    Das Klagen des Nordwindes hatte nachgelassen. »J-ja, Herrin«, kam die erstickte Antwort.
    »Gesegnete Rhiap, warum schluchzt du denn so? Du weckst ja die anderen!« Außer Sarrah und Rachel schliefen jetzt nur noch drei andere Frauen im Saal der Mägde, aber die fünf Lagerstätten drängtensich dicht aneinander, um sich gegenseitig in dem großen, eiskalten Raum ein wenig Wärme zu spenden.
    Sarrah strengte sich offenbar an, ihre Fassung zurückzugewinnen, aber als sie antwortete, zitterte immer noch ein Schluchzen in ihrer Stimme. »Ich … ich hab Angst, Frau Rachel.«
    »Wovor denn, albernes Ding, vor dem Wind?« Rachel setzte sich auf, die dünne Decke eng um sich geschlungen. »Ein Sturm zieht auf, aber das hörst du doch nicht zum ersten Mal.« Fackellicht von draußen drang unter der Tür durch und zeigte ihr den schwachen Umriss von Sarrahs blassem Gesicht.
    »Es ist nur … meine Großma hat immer gesagt …« Die Magd hustete feucht. »Großma hat gesagt, in Nächten wie dieser … wandern die … Totengeister. Man kann … man kann ihre Stimmen hören … im W-wind.«
    Rachel war froh über die Dunkelheit, die ihr eigenes Unbehagen verbarg. Wenn es überhaupt solche Nächte gab, kam die heutige unbedingt dafür in Frage. Seit Sonnenuntergang schon tobte der Wind wie ein verwundetes Tier, heulte in den Kaminen des Hochhorstes und kratzte mit beharrlichen Zweigfingern an Fenstern und Türen.
    Sie gab ihrer Stimme einen festen Klang. »In meiner Burg wandern keine Toten, dummes Mädchen. Jetzt geh wieder schlafen, bevor du den anderen Alpträume machst.« Rachel ließ sich wieder auf ihren Strohsack sinken und versuchte eine Lage zu finden, die für ihren verspannten Rücken etwas bequemer war. »Schlaf, Sarrah«, wiederholte sie. »Der Wind kann dir nichts tun, und morgen wird es einen Haufen Arbeit geben – der gute Gott weiß es –, um nur allein alles wieder aufzulesen, was der Wind heruntergeweht hat.«
    »Es tut mir leid.« Das blasse Gesicht versank im Dunkel. Nach einigen Minuten Geschnief war Sarrah wieder still. Rachel starrte in die Schwärze hinauf und lauschte den rastlosen Stimmen der Nacht.
    Vielleicht hatte sie geschlafen – schwer zu sagen in dieser Dunkelheit –, aber jedenfalls wusste Rachel, dass sie schon eine ganze Weile auf ein Geräusch horchte, das durch das Singen des Windes an ihr Ohr drang. Es war ein leises, verstohlenes Kratzen, ein trockener Laut wie Vogelkrallen auf einem Schieferdach.
    Etwas war an der Tür.
    Auch wenn sie vorher geschlafen hatte, jetzt war sie hellwach. Sie drehte den Kopf zur Seite und sah einen Schatten über den Lichtstreifen unter der Tür huschen. Das Kratzen wurde lauter, und es klang, als weine jemand.
    »Sarrah?«, flüsterte Rachel und dachte, die Magd sei von dem Geräusch wach geworden. Aber Sarrah antwortete nicht. Als Rachel mit weitgeöffneten Augen ins Dunkel lauschte, merkte sie, dass der sonderbare, dünne Laut aus dem Korridor kam – von dem, was da vor ihrer verriegelten Tür stand.
    » Bitte «, flüsterte es, »bitte …«
    In Rachels Kopf dröhnte das Blut. Sie richtete sich auf und setzte lautlos die nackten Füße auf den Steinboden. Träumte sie? Zwar fühlte sie sich völlig wach, aber das klang doch wie eine Jungenstimme, wie …
    Das Kratzen wurde ungeduldiger, klang ängstlich; wer immer es war, dachte sie, musste wirklich große Furcht haben. Ein wandernder Geist, etwas Heimatloses, das allein und verlassen in der stürmischen Nacht umherirrte und sein längst zu Staub

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