Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Drachen Igjarjuk gegenübergestanden, bei weitem gewaltiger und tödlicher als jedes gewöhnliche Tier?
So saß er da, während der Vormittag in den Nachmittag überging, und sah dem Leben auf dem Mintahoq zu, das sich vor ihm entfaltete, hektisch und zugleich wohlgeordnet wie in einem Bienenstock. Die Alten, deren Jagd- und Hütejahre vorbei waren, hielten von einer Terrasse zur anderen ihre Schwätzchen oder hockten in der Sonne, schnitzten Knochen oder Horn, schnitten und nähten gegerbte Häute zu allen möglichen Gegenständen. Kinder, die zu groß waren, von ihren Müttern zur Jagd mitgeschleppt zu werden, spielten unter der verträumten Aufsicht der Alten bergauf und bergab ihre Spiele, sausten die schmalen Leitern hinauf oder schaukelten und kobolzten auf den schwankenden Riemenbrücken, unbekümmert um die tödlichen Abgründe, die unter ihnen gähnten. Simon konnte kaum hinsehen, wie die Kleinen diesem gefährlichen Zeitvertreib nachgingen, aber über den ganzen langen Nachmittag widerfuhr keinem einzigen Trollkind ein Missgeschick. Obwohl die Einzelheiten fremdartig und ungewohnt waren, empfand er, dass Ordnung herrschte. Der bedächtige Pulsschlag des Lebens schien ihm stark und fest wie der Berg selbst zu sein.
In dieser Nacht träumte Simon wieder einmal von dem großen Rad.Diesmal fand er sich, wie in grausamer Verhöhnung des Leidens von Usires, dem Sohne Gottes, hilflos auf das Rad geflochten, ein Glied in jedem Viertel des schweren Rades. Es zog ihm nicht nur den Kopf nach unten, wie es einst dem Herrn Usires am Baum geschehen war, sondern es wirbelte ihn inmitten einer erdenlosen Leere am schwarzem Himmel herum und immer wieder herum. Die fahl glänzenden Sterne hinterließen vor ihm Spuren wie Kometenschweife. Und noch etwas anderes – etwas Schattenhaftes, Eisiges, mit einem Lachen wie Fliegengesumm – tanzte gerade außerhalb seines Gesichtsfeldes und verspottete ihn.
Wie so oft in diesen schrecklichen Träumen rief er, aber kein Laut drang aus seiner Kehle. Er zappelte, aber seine Glieder waren ohne Kraft. Wo war der Gott, von dem die Priester behaupteten, er sehe alles, was vorging? Warum ließ er Simon in dieser entsetzlichen Finsternis schmachten?
Langsam schien sich aus den bleichen, ermattenden Sternen etwas zu formen; eine grässliche Ahnung erfüllte Simons Herz. Aber was da aus der kreisenden Leere auftauchte, war nicht das erwartete rotäugige Grauen, sondern ein kleines, ernsthaftes Gesicht: das kleine dunkelhaarige Mädchen, das ihm schon in früheren Träumen begegnet war.
Sie öffnete den Mund. Das tolle Wirbeln des Himmels schien sich zu verlangsamen.
Sie sprach seinen Namen.
Es klang, als komme der Laut einen langen Gang entlang, und Simon verstand, dass er sie schon einmal gesehen hatte. Er kannte dieses Gesicht – aber wer … wo …?
»Simon«, wiederholte sie, jetzt deutlicher. Ihre Stimme war drängend. Aber noch etwas anderes griff nach ihm – etwas Näheres. Etwas ganz Nahes …
Er erwachte.
Jemand suchte ihn. Simon setzte sich auf seinem Lager auf, atemlos, hellwach auf jedes Geräusch lauschend. Bis auf das endlose Seufzen der Bergwinde und das leise Schnarchen Haestans, der, in seinen dicken Mantel gewickelt, neben den Kohlen des abendlichen Feuers schlief, herrschte Stille in der Höhle.
Jiriki war nicht da. Hatte der Sitha draußen vor der Höhle nach Simon gerufen? Oder war es nur ein Überrest seines Traumes? Simon zitterte vor Kälte und erwog, die Pelzdecke wieder über die Ohren zu ziehen. Im Schein der Glut stand sein Atem als trübe Wolke.
Nein, da draußen wartete jemand auf ihn. Er wusste nicht, woher er das wusste, aber er war seiner Sache sicher; er fühlte sich straff und sein Inneres bebte leise wie eine Harfensaite. Die Nacht schien zum Zerreißen gespannt. Und wenn nun wirklich jemand auf ihn wartete? Vielleicht war es jemand – etwas –, vor dem man sich besser versteckte?
Gedanken, die nichts änderten. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt; er musste nach draußen. Jetzt war es ein dringendes Verlangen, das sich nicht ignorieren ließ.
Meine Wange tut sowieso schrecklich weh, sagte er sich. Ich könnte ohnehin nicht einschlafen.
Verstohlen zog er seine Hose unter dem Schlafmantel hervor, der ihn in der bitterkalten Nacht von Yiqanuc warmhielt, und zwängte sich, so leise er konnte, hinein, um dann die Stiefel über die kalten Füße zu streifen. Er überlegte kurz, ob er das Panzerhemd anziehen sollte, aber mehr als die
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