Der Agent - The Invisible
Geschichte vergessen. Die aktuelle Lage war weitaus ernster. Sechs spanische Staatsbürger waren gestorben, und nicht etwa in Folge eines Unfalls. Außerdem war
der amerikanischen Regierung bei dem Zusammenstoß im Luftraum über China gar keine andere Wahl geblieben, als ihre Schuld einzugestehen. Was die Explosion in Madrid und den Tod von Kamil Ghafour betraf, hatten weder Brenneman noch ein Regierungsmitglied bis jetzt auch nur ein Wort verloren. Noch schlimmer war, dass es sofort einen riesigen Medienrummel geben würde, wenn die Beteiligung der CIA publik wurde. Der Ernst der Lage war nicht herunterzuspielen. Falls die Spanier einen unwiderlegbaren Beweis dafür hatten, was wirklich geschehen war, würden die diplomatischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien nicht nur Schaden nehmen, sondern unter Umständen ganz abgebrochen werden, und allen Anwesenden war klar, dass es so weit auf keinen Fall kommen durfte.
Nachdem der Präsident sich einen Augenblick Zeit genommen hatte, um über Andrews’ Worte nachzudenken, blickte er Harper an. »Wie denken Sie darüber?«
Harper räusperte sich. »Ich bin derselben Meinung wie Direktor Andrews, Sir. Selbst wenn sie Bilder hätten, auf denen unsere Leute in Langley zu sehen sind, wäre das egal. Sie können alle Beweise der Welt dafür haben, dass wir in Madrid die Finger im Spiel hatten, aber wir dürfen es nicht zugeben. Wir können es uns einfach nicht leisten.«
Brenneman nickte bedächtig. »Ganz meine Meinung«, sagte er schließlich. »Nein, wir können nicht zugeben, dass wir dafür verantwortlich sind. Aber jetzt muss ich erst abwarten, was Vázques zu sagen hat. Vielleicht …«
Ein Klopfen an der Tür ließ Brenneman innehalten, und kurz darauf trat Stan Chavis ein. »Botschafter Vázques ist gerade eingetroffen«, verkündete er ernst.
Brenneman stand auf, die anderen folgten seinem Beispiel.
Nachdem er den Knoten seiner Krawatte gerichtet hatte, nickte Brenneman seinem Stabschef zu. »Bringen Sie ihn herein und sagen Sie Claire, dass ich für die nächsten zwanzig Minuten keinen Anruf entgegennehmen kann. Okay, bringen wir es hinter uns.«
Harper war Miguel Ruiz Vázques nie begegnet, hatte aber seinen Namen gehört und auf der Fahrt von Langley zum Weißen Haus einen biografischen Abriss gelesen. Die diplomatische Laufbahn des zweiundsechzigjährigen Vázques’ währte mittlerweile vierzig Jahre, was in einem Land wie Spanien an sich schon eine Leistung war. Er hatte die Jahre des diktatorischen Regimes von Francisco Franco ebenso überstanden wie die des politischen Übergangs, der 1978 die Wiedereinführung der Monarchie unter König Juan Carlos I. mit sich brachte. Während dieser Zeit war er in den Reihen des Außenministeriums immer weiter aufgestiegen und mit hohen Posten in Brasilien, Griechenland und zuletzt in Luxemburg bedacht worden, wo er sich ein respektables Französisch aneignete. Im Laufe seiner Jahre im diplomatischen Dienst hatte er es zudem noch fertiggebracht, an der autonomen Universität Madrid einen Abschluss in Jura und Management zu machen. Besonders der zweite Abschluss kam ihm in Washington zugute, wo er als Chef der spanischen Botschaft an der Pennsylvania Avenue, nur einen Steinwurf vom Weißen Haus entfernt, eine Belegschaft von hundertsiebzig Leuten unter sich hatte.
Am meisten hatte sich Harper aber eingeprägt, dass Vázques den Ruf eines gewieften Politprofis genoss, was nicht weiter überraschend war bei einem Mann, der so viel erreicht hatte. Trotzdem war es beunruhigend. Im günstigsten Fall hieß es, dass er nicht leicht einzuschüchtern war. Wenn er den Beweis
hatte, der die Behauptungen seiner Regierung stützte, würde er nicht zögern, dem Präsidenten gegenüber Klartext zu reden. Selbst dann nicht, wenn er im Oval Office zu Gast war.
Harper brütete noch immer über diesem deprimierenden Gedanken, als Claire Bouchard, die Sekretärin des Präsidenten, Vázques hereinführte. Alle standen auf, als der Botschafter auf Brenneman zuging und dessen ausgestreckte Hand ergriff.
»Freut mich sehr, Sie wieder mal zu sehen, Mr. Vázques«, sagte Brenneman mit einem herzlichen und offenbar aufrichtigen Lächeln. Harper hatte seine Höflichkeit schon immer bewundert, und er fragte sich, ob sie echt oder nur gespielt war. Doch jetzt, als er sich daran erinnerte, was der Präsident noch vor ein paar Augenblicken gesagt hatte, erkannte er, was für ein gerissener Schauspieler David Brenneman
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