Der Agent - The Invisible
lange Pause, während der Kealey nur das Geräusch des Regens, das ferne Brummen von Dieselmotoren und das leise Zischen der Satellitenverbindung hörte. Er konnte sich gut vorstellen, welches Wortgefecht jetzt in der Krisenzentrale des Weißen Hauses ausgetragen wurde. »Wir müssen mehr wissen«, sagte Harper schließlich. »Können Sie näher an die Scheune herankommen, ohne entdeckt zu werden?«
»Wahrscheinlich nicht«, sagte Kealey ungeduldig. »Hören Sie, wir sind direkt vor Ort …«
»Ich weiß, dass Sie nicht warten wollen, aber wir werden sie ja befreien. Sie halten einfach die Stellung. Das Spezialkommando ist vor einer Stunde in Bagram gestartet und wird vermutlich in fünfunddreißig Minuten eintreffen.«
»Nein, wir müssen sie jetzt befreien. Wir schaffen das. Alle Vorteile sind auf unserer Seite. Diese Jungs sind kein …«
»Bleiben Sie, wo Sie sind. Das ist ein Befehl.«
»Scheiße«, murmelte Kealey, unwillig, seine Verärgerung zu verbergen. Harper musste es gehört haben. Er bestätigte den Befehl und beendete das Gespräch.
Keine fünf Sekunden später kam über seinen Ohrhörer Owens Stimme. »Was gibt’s, Ryan?«
Kealey erzählte, was Harper gesagt hatte, und meldete sich dann bei den anderen, damit alle auf dem gleichen Stand waren. Als das erledigt war, konzentrierte er sich wieder auf die
Rückseite des Hauses. Durch das Zielfernrohr sah er die leicht grünliche Gestalt des Wachtpostens unglaublich scharf und vergrößert; sein Kopf hatte ungefähr die Größe eines kleinen Kürbisses. Einfach abdrücken, dachte er. Es war eine mächtige Versuchung. Owen, Walland oder Massi konnten den zweiten Wachtposten aus dem Verkehr ziehen, und dann hatte die Gegenseite nicht mehr zehn, sondern nur noch acht Männer. Damit konnte man sehr gut klarkommen.
Er atmete tief durch und versuchte, den verlockenden Gedanken abzuschütteln. Sein Finger hatte sich schon etwas um den Abzug gespannt, fast wie von selbst, doch jetzt zog er ihn in einem bewussten Willensakt zurück. Der Drang, einfach abzudrücken, war fast unbezwingbar. Fitzgerald war in unmittelbarer Nähe, keine dreißig Meter entfernt, und Mengal und seine Leute hatten keinen blassen Schimmer, dass sie beobachtet wurden. Es musste ein Kinderspiel sein …
Er holte erneut tief Luft, krampfhaft das Gewehr unklammernd. Eigentlich wünschte er nur, dass Mengal etwas unternahm. Dass die Wachtposten sie entdeckten. Dass sie allem schnell ein Ende machen konnten. Aber er versuchte, sich zu entspannen, denn ihm war bewusst, dass Harper recht hatte. Noch war der richtige Zeitpunkt nicht gekommen. Eine halbe Stunde, dann ging es los.
41
Sialkot
Seit ihm Kureshis Haus als geeignet erschienen war, hatte Benazir Mengal die Nützlichkeit der Scheune in Betracht gezogen - ein hübsches einstöckiges Gebäude, aus demselben Bruchstein erbaut wie das Haus und ebenfalls mit einem Schieferdach. Es hatte keine Fenster, war aber gerade deshalb für Mengals Zwecke geeignet. Schließlich musste niemand wissen, wozu er die Scheune zu nutzen gedachte. Eine solide Eichentreppe führte zum Heuboden hinauf, doch der Raum darunter war völlig leer, weshalb er sich ideal für Filmaufnahmen eignete.
Was nicht ganz wörtlich zu nehmen war. Alles wirkte sehr improvisiert, doch das störte ihn nicht. Niemand, der das Video sah, würde an der Qualität der Aufnahme Anstoß nehmen. Links und rechts neben der auf einem Dreifuß montierten Kamera standen zwei Halogenstrahler, gerichtet auf eine weiße Flagge mit dem ovalen Symbol der Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat. Es zeigte einen aufgeschlagenen Koran vor dem Hintergrund einer grauen Mauer, darüber war ein türkisfarbener Himmel zu sehen. Der Koran wurde eingerahmt von einem Schwert und einem AK-47, und direkt über dem Buch leuchtete eine Sonne. Sieben stilisierte Strahlen fielen auf die ruhmreichen Lehren des Propheten Mohammed. Auf einem Banner darunter stand der Name von Saifis Organisation, auf einem über der Flagge eine Botschaft:
»Wir kämpfen so lange gegen die Unterdrückung, bis die Gerechtigkeit und der Glaube an Allah siegen.«
Mengal fand das alles abgrundtief lächerlich, fast so lächerlich wie die Ziele der GSPC, doch es war immer noch besser, die Flagge zu benutzen als selbst vor die Kamera zu treten. Aus diesem Grund hatte er Saifi rekrutiert. Als er das Gespräch mit ihm in dem algerischen Gefängnis arrangiert hatte, erklärte er ihm ziemlich genau, was er vorhatte, ohne
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