Der Agent - The Invisible
lebensbedrohlicher Attacke hatte er sich in seinem Haus auf Cape Elizabeth in Maine um sie gekümmert. Sie hatte einen Teil des Winters mit ihm verbracht, und zu dieser Zeit hatte er begriffen, wie tief verwurzelt ihre Probleme waren. Sie gehörten mit Sicherheit nicht zu jenen, die sich durch ein halbes Jahr in Camp Peary lösen ließen. Trotzdem, er konnte sie nicht fallen lassen. Das hatte er sich schon vor langer Zeit gelobt, und er hatte nicht vor, jetzt davon abzurücken.
Zugleich konnte er nicht für die Agenten sprechen, die sie in Spanien treffen würden. Wenn Naomis Verhalten sie in Gefahr zu bringen drohte, würde ihm keine andere Wahl bleiben, als einzuschreiten und sie nach Hause zu schicken. Vor seiner Zusage hatte er eine Forderung an Jonathan Harper gestellt - bei der Operation in Spanien musste er das Sagen haben. Der Rest konnte später entschieden werden, aber in Madrid musste sie auf sein Kommando hören. Harper hatte sofort zugestimmt und Naomi am nächsten Morgen in seiner Anwesenheit darüber informiert, doch sie hatte praktisch nicht reagiert und das Thema seitdem nicht mehr erwähnt. Er fragte sich, ob sie die Sache überhaupt ernst genommen hatte, doch letztlich spielte es eigentlich keine Rolle. Sie musste nach seiner Pfeife tanzen, daran gab es nichts zu rütteln. Wenn er beschloss, sie nach Hause zu schicken, konnte sie nichts dagegen tun. Andererseits wäre das höchstwahrscheinlich das Ende ihrer Beziehung. Wenn man davon ausgeht, dachte er düster, dass es überhaupt noch eine Beziehung gibt, die zu retten wäre.
Er drehte sich zum Fenster und schaute geistesabwesend auf die verregnete Landschaft. Am besten war es, einfach abzuwarten. Er wollte ihr eine Chance geben, aber wenn sie sich nicht bald wieder fing, würde er eine harte, aber notwendige Entscheidung treffen müssen. Er hatte schon einmal so gehandelt, als wäre ihr Leben wichtiger als das Tausender anderer. Einmal war alles gut gegangen, aber er hatte nicht vor, das Schicksal herauszufordern. Wenn sie vorhatte, bei diesem Job dabeizubleiben, musste sie beweisen, dass sie es verdient hatte. Es war ganz einfach. Und sehr hart.
10
Rawalpindi
Als sie langsam wieder zu Bewusstsein kam, wusste Brynn Fitzgerald für einen Augenblick nicht, was geschehen war. Dann erinnerte sie sich an die erste Explosion, an schockierende Bilder. Blut, Flammen, Rauch. Sie wusste noch, dass der Fahrer den Wagen gewendet hatte, hatte aber keine Ahnung, was danach geschehen war. Als sie unter Schmerzen den Kopf nach rechts drehte, sah sie, dass der Rauch sich verzogen hatte, und ihr wurde klar, dass sie sich immer noch in dem Suburban befand. Die Vordersitze waren durch die Explosion aus der Verankerung gerissen und nach hinten gepresst worden. Der Fahrersitz bohrte sich in ihre rechte Schulter, jede Bewegung schmerzte. Ein schweres Gewicht drückte auf ihren Rücken. Lee. Mit immer lauterer Stimme nannte sie ein paarmal seinen Namen, in der Hoffnung, dass er nur benommen war. Keine Reaktion.
Sie gab sich alle Mühe, die Denkblockaden zu überwinden, Angst und Verwirrung auszublenden, die Ernsthaftigkeit ihrer Verletzungen einzuschätzen. Es schien, als könnte sie ihre Glieder bewegen, doch ihre Brust war wie zugeschnürt, das Atmen schmerzhaft. Sie hatte das Gefühl, als würde jemand mit beiden Händen auf ihren Brustkorb drücken und ihr die Sauerstoffzufuhr abschneiden. Sie schaffte es, die unter ihr eingezwängten Arme zu bewegen und ihren Oberkörper abzutasten. Ein stechender Schmerz, auf der linken Seite. Wahrscheinlich
waren ein paar Rippen gebrochen. Am schlimmsten war, dass ihr niemand zu Hilfe kam, was nur bedeuten konnte, dass der Anschlag gelungen war.
»Lee.« Sie war geschockt, wie schwach ihre Stimme klang. Sie musste husten, räusperte sich dann. In ihrem Mund war ein Geschmack von Blut, und das verängstigte sie mehr als alles andere. »Hörst du mich, Lee? Sag etwas. Bitte, sag doch was.«
Wieder keine Reaktion. Plötzlich riss sie das Durcheinander mehrerer Stimmen in die Wirklichkeit zurück. Erleichterung überkam sie, doch dann stellte sie fest, dass niemand Englisch sprach. Ein Klopfen an der Wagentür, ein seltsames Geräusch, fast so, als würde an der Außenseite des Suburban etwas angebracht. Wenn das stimmte, konnte es nur eines bedeuten. Wieder stieg Panik in ihr auf. Sie konnte sich nicht bewegen, ihr blieb nichts anderes übrig, als auf das Ende zu warten.
Urplötzlich verstummten die Stimmen wieder. Sie
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