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Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman

Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman

Titel: Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wie keinen Ton mehr. Auf dem Rückweg nach Memphis sah ich hinaus auf die Sojabohnenfelder in der Umgebung der Casinos und fragte mich, wie viele Menschen dort begraben sein mochten. Was ich nicht vergessen will:
    In der Nacht, als Billy geboren wurde, brachte Brian das in eine blaue Decke gewickelte Baby aus dem Kreißsaal, um es Rose und mir zu zeigen.
    Es war winzig und äußerst rosa und trug nur ein kleines Büschel heller Haare oben auf dem Kopf. Als ich mich hinunterbeugte, um ihn genauer zu betrachten, spähte Billy mir mit großen grünen und feucht glänzenden Augen entgegen.
    »Hi, Junge«, sagte ich. »Ich bin dein Grandpa. Ich werde helfen, auf dich achtzugeben.«
    »Ich hab ihn so lieb, Dad«, sagte Brian zu mir, und seine Augen schimmerten ebenfalls feucht.
    »Solltest du je das Gefühl gehabt haben, dass dir im Leben der Ansporn fehlt, wird dir von jetzt an bewusst sein, dass ein solches Gefühl sich nie wieder einstellen kann«, sagte ich und klopfte ihm auf die Schulter. »Das hier ist der Grund, warum du morgens aus dem Bett steigst. Das hier ist der Grund, warum du versuchst, eine grausame und rücksichtslose Welt so zu formen, dass sie Sinn ergibt. Und das hier ist deine Aufgabe: Du hast diesen Jungen zu beschützen, dafür zu sorgen, dass ihm nichts geschieht, und ihm die Gewissheit zu geben, dass er niemals allein ist.«
    »Ja, Dad, ich glaube, das stimmt so ungefähr.«
    Ich kramte meinen Flachmann mit Whiskey aus der Jacke, nahm einen kräftigen Schluck und reichte sie meinem Sohn. »Das Gefühl kenn ich nämlich«, sagte ich.

16
    Auf jedem der zweitausend gemütlichen Kinosessel im Auditorium aus Glas und gipsverputzten Wänden hatte sich ein Hintern breitgemacht. Im Auftrag der Kirche versuchten Hilfssheriffs den Verkehrsstau aufzulösen, der den Parkplatz verstopfte. Gemessen am Andrang bei seiner Trauerfeier schien der tote Larry Kind trotz seines verstörenden Auftretens und seiner Spielsucht das Priesterhandwerk ziemlich gut im Griff gehabt zu haben. Viele Anwesende weinten.
    Ich fand einen schönen Sitzplatz am Ende eines Ganges im hinteren Bereich des Raums. Von dort aus überblickte ich das gesamte Publikum. Tequila rutschte auf den Sitz neben mir. Wir hatten nicht über den gestrigen Zoff gesprochen, und ich ahnte, dass wir es auch nicht tun würden. Das war nicht die Art, wie man in unserer Familie die Dinge klärte.
    Er hatte morgens mit frischen Bagels und Kaffee von Starbucks vor der Tür gestanden. Ein Friedensangebot.
    Ich nahm es an und ließ mich von ihm zur Beerdigung kutschieren. Jetzt würden wir also so tun, als sei nie etwas gewesen, obwohl mir das, was er gesagt hatte, an die Nieren gegangen war.
    Ich war jetzt im Laufe einer Woche dreimal in einer Kirche gewesen. So spielt sich das Leben alter Menschen ab – sie begeben sich ständig an dieselben Orte, wieder und wieder, und lassen keine Beerdigung aus.
    Jemand hatte bereits den Teppich ausgetauscht, auf dem Kind verblutet war. Jemand hatte die besudelten Wände frisch gestrichen. Jemand hatte Kinds Überreste zusammengekratzt und ineinen gewichtig aussehenden Eichensarg mit Messinggriffen für die Träger gefüllt. Natürlich blieb der Sarg geschlossen, und überdies war er derartig von Blumenkaskaden überhäuft, dass ich kaum schätzen konnte, wie teuer er wohl gewesen sein mochte.
    »Hätte der Reverend diese imposante Kiste den Typen in Tunica überlassen, wäre ihm vielleicht nicht das Gesicht weggeblasen worden«, sagte Tequila.
    Vor uns drehte sich eine füllige Frau mittleren Alters um und warf uns einen giftigen Blick zu.
    Tequila verzog das Gesicht und gab sich Mühe, zerknirscht auszusehen. »Jeder hat seine eigene Art, Trauer auszudrücken«, sagte er zu ihr.
    »Wie kommst du darauf, dass die Casino-Leute ihn erledigt haben?«, fragte ich.
    »Hab keinen speziellen Grund«, sagte er. »Meine Theorie ist ohnehin, dass du es warst.«
    Ich fingerte an meinem Zigarettenpäckchen und dachte daran, mir eine anzustecken, entschied mich aber dagegen. »Von dir behauptet ja auch niemand, dass du unschuldig bist«, sagte ich zu Tequila.
    »Wenn jemand rumschnüffelt und wissen will, wo ich an jenem Abend gewesen bin, kannst du sagen, dass du mit mir zusammen warst, und wenn jemand nach dir fragt, sag ich dasselbe.«
    Sehr beruhigend.
    Jede Menge nobles Volk unter den Anwesenden. Mexikanische Tagelöhner hatten nicht angeheuert werden müssen, um den verstorbenen Reverend zu Grabe zu tragen. Ein Richter, ein

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