Der Altmann ist tot: Frl. Krise und Frau Freitag ermitteln
Samira und zeichnet dabei verbissen ein schiefes rotes Herz. Ach, Gott, ist das kindisch. Und so phantasielos!
«Frl. Krise, können Sie mir helfen? Ich kann das nicht!»
Ich nehme ihr den Stift aus der Hand. Ein Herz, eine meiner leichtesten Übungen.
«Voll schööön!» Samira strahlt mich an. «Danke.»
«Gerne! Was soll das denn werden?», frage ich.
«Ich wollte eine Karte für eine Hochzeit malen, für meine Cousine.»
«Canan?»
Samira nickt. «Da ist doch bald Hennaabend.»
«Was passiert eigentlich am Hennaabend?» Ich weiß es zwar, aber vielleicht bekomme ich noch etwas über die Hochzeit und die Familie heraus.
«Das ist am Tag vor der Hochzeit. Da wird der Abschied vom Vaterhaus gefeiert», sagt Samira ernsthaft. «Nur die Frauen feiern. Dann bekommen wir alle so Muster mit Henna auf die Hände gemalt. Haben Sie doch schon gesehen bei uns.»
Ich nicke.
«Im Fernsehen war mal, dass die Braut dann so ein rotes Tuch über den Kopf gelegt bekommt. Warum das denn?», fragt Vanessa.
«Weil sie dann weinen muss!»
«Hä?»
«Weil sie so traurig ist, dass sie nicht mehr bei ihre Familie ist.»
«Aber wenn sie gar nicht traurig ist? Wenn sie sich freut?» Vanessa scheint andere Vorstellungen vom Heiraten zu haben als Samira.
«Sie ist traurig!», beharrt Samira.
«Aber du hast doch selbst gesagt, dass die Canan froh ist, wenn sie nicht mehr bei ihren Eltern ist!»
Samira seufzt. «Aber sie MUSS weinen! Oder sie kann ja so tun …»
«Freut sich denn Canan darauf, dass sie heiratet?», frage ich.
Samira sieht mich unschlüssig an. «Ja», sagt sie. «Ich glaube, die freut sich. Schon wegen den ganzen Ärger in meine Familie. Dass der vorbei ist!»
«Ärger?»
«Frl. Krise. Hab ich Ihnen doch erzählt. Mit meine Cousins. Der Alper …»
Samira verstummt.
«Was ist mit dem?»
«Frl. Krise, das darf ich Sie nicht erzählen, das mit den Alper. Der war, der ist …»
Vanessa zischelt Samira etwas ins Ohr. Samira nickt und schließt die Augen.
«Das kannst du Frl. Krise doch ruhig erzählen! Der ist doch schon wieder …»
«Pst! Sei ruhig! Das geht um unsere Ehre. Meine Familie …»
«Der war verhaftet, und der ist wieder frei», sage ich leise. «Ich habe das schon gehört, Samira. Da könnt ihr schön feiern, wenn deine Cousins nichts gemacht haben.»
Samira nickt gequält.
•
«Frau Freitag, an was hast du denn so gedacht? Ein Kleidchen? Oder eine Haremshose? Die sind doch jetzt so in. Guck mal, hier sind welche in Gold und Lila!»
«Haremshose? Alles klar, Frl. Krise. Was ist das hier für ein schräger Laden? Den haben dir deine Schülerinnen empfohlen, oder? Samira, stimmt’s?»
«Das ist voll der angesagte Laden für Hochzeiten! Die kaufen alle hier ein. Restposten aus London und Paris. Samira hat hier sogar ihr Praktikum gemacht.»
«Restposten … hm, ich sehe schon. Ist voll Kottbusser Damm, aber egal, wir gehen ja auch auf eine türkische Hochzeit. Was ziehst du denn an? Und ich in einem Kleid … ich weiß nicht … ich trage doch immer Hosen.»
«Aber bei einer Hochzeit MUSST du ein Kleid tragen. Dahinten, die sehen doch ganz schön aus. Da, wo der komische Kerl steht. Frag mich, was der hier macht. Hier verkaufen sonst nur Girls mit Kopftuch.»
«Müssen wir auch Kopftuch tragen bei der Hochzeit?»
«Quatsch!»
«Wie war’s eigentlich beim Kinderarzt?»
«Hab ich dir noch nicht erzählt, dass ich die Judith Maier da getroffen hab? Diese ehemalige Lehrerin, die wegen dem Altmann nicht auf die Klassenfahrt nach Italien gefahren ist. Der Wernitzki war verknallt in die. Stell dir das mal vor. Das ist so eine ganz Hübsche. Der Wernitzki hat sie doch nicht mehr alle. Der wollte echt was von der, und der Altmann hat sich mit dem fast geschlagen deswegen. Krass, oder?»
«Hmm, duelliert haben die sich – in der Biosammlung. Kann ich mir genau vorstellen. Oh Mann, dieser Wernitzki … hör mir bloß mit dem auf. Ich durfte ja Montag den ganzen Vormittag mit ihm verbringen. Eine Flasche ist das. Aber dann kam er mir irgendwie komisch. Der tat plötzlich so wichtigtuerisch, als es um Tätowierungen ging. Klang fast so, als ob der das von der Canan-Rose wüsste.»
«Niemals. Woher soll der das wissen?»
«Was weiß ich? Vielleicht war der mit ihr in der Sauna.»
«Natürlich. In der Sauna. Jetzt zieh doch mal ein Kleid an. Das hier finde ich nicht schlecht. Das würde dir stehen. Kostet auch nicht teuer.»
«Okay, okay, gib her. Und halte mal meine Tasche.
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