Der Altmann ist tot: Frl. Krise und Frau Freitag ermitteln
nicht … die würden dem doch einfach auflauern und sich nicht lange mit Briefchenschreiben abgeben. Vielleicht war das auch nur ein Joke von einem Schüler oder von einem Freund von Günther. Er scheint das ja auch nicht richtig ernst gemeint zu haben, denn er hat ja seine Unterrichtsvorbereitung hinten draufgeschrieben. Wenn man ernsthaft erpresst wird, dann geht man doch zur Polizei, oder? Bei ‹Tatort› machen die das jedenfalls so.»
«Vielleicht sollten wir das mal dem Ömür zeigen. Frau Freitag, los jetzt! Ich muss nach Hause. Ich treffe mich nachher mit meiner Tochter, wir gehen vielleicht noch ins Kino, und vorher will ich eventuell noch einen neuen Kinderwagen kaufen.»
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Donnerstag erst zur dritten Stunde Unterricht zu haben ist wie ein Geschenk. Ich bin ja nicht so eine Nachtigall wie Frau Freitag, die sich auch noch sonst was darauf einbildet. Sprach nicht Mark Twain von der Arroganz der Frühaufsteher? Recht hat der Mann.
Fast alle Kollegen fangen gerne früh an, und sie tun so, als ob nur das Arbeiten bei Sonnenaufgang wertvoll sei, dabei wollen sie bloß davon profitieren, dass unsere pubertäre Klientel in der ersten Stunde noch komatös in den Bänken hängt und zu keinem Widerspruch fähig ist.
Ich gehe lieber spät ins Bett und schlafe morgens länger. Und anstatt um 22 Uhr im Bett zu liegen, gehe ich abends gerne noch ein, zwei Stündchen raus.
Wie nett es eben mit Rosa war! Wir sehen uns viel zu selten, und im Kino war ich auch lange nicht mehr. Der Film hat mich zwar nicht vom Hocker gerissen, aber meiner Tochter hat er gefallen. Die hat es gut. Die fährt mit der U-Bahn genau bis vor ihre Haustüre, und ich darf jetzt noch durch den düsteren Kiez marschieren. Obwohl – ein bisschen frische Luft wird mir nicht schaden. Und ich bewege mich auch viel zu wenig. Eigentlich müsste ich mehr Sport treiben. Was heißt hier mehr? Das bisschen Radfahren zur Schule kann man doch gar nicht als Sport bezeichnen.
Mein Kiez ist sogar bei Nacht schön anzusehen, das finden auch die Touris. Die gondeln gemütlich in klimatisierten Bussen durch unsere Straßen und müssen nicht wie ich auf untauglichem Schuhwerk über unebene Bürgersteige und Kopfsteinpflaster stolpern. Ehrlich, ich frage mich selber, warum habe ich eigentlich heute Abend diese Schuhe mit Absatz angezogen? Männe sagt immer zu mir, wenn ich eine Indianerin wäre, hieße ich bestimmt «Wrong Shoe». Es ist reine Eitelkeit mit diesen hohen Teilen, ich gebe es zu. Dabei sieht man sie im Kino noch nicht einmal. Eitelkeit – genau wie mit dem stylischen Kinderwagen – ach, ich will nicht daran denken, sonst ärgere ich mich bloß.
Die kleine Schenkendorfstraße ist wie ausgestorben. Nur bei unserem Lieblingsgriechen steht noch ein Kellner vor der Türe und raucht. Jetzt rechts rum in die Arndtstraße und am Chamissoplatz vorbei. Da ist es nachts ein bisschen gruselig. Man kann überhaupt nicht sehen, wer sich alles auf dem unübersichtlichen Spielplatz und in dem kleinen Park aufhält. Und diese funzelige Beleuchtung! Die historischen Lampen mögen ja sehr pittoresk sein, aber als Frau hätte man die Straßen nachts am liebsten so hell und nüchtern erleuchtet wie einen Waschsalon. Überhaupt frage ich mich, wo der Typ auf der anderen Straßenseite plötzlich herkommt. Ich stöckele hier die Straße lang, und der kommt auf seinen Turnschuhen genauso langsam voran wie ich. Das ist nicht ganz koscher! Der raucht, vielleicht ist das der Kellner vom Griechen. Quatsch! Das ist wer ganz anders. Der guckt rüber zu mir. Soll er. Da wird er sehen, dass hier eine Frau geht, die sich selbstbewusst und furchtlos das Recht nimmt, nachts durch die Straßen zu gehen. Eine Frau, die den Kopf hochhält, eine, an die sich keiner rantraut.
Das Kopfsteinpflaster glänzt, es hat geregnet, die Luft ist frisch … Tief einatmen!
«Mama, nimm den Bus nach Hause», hat meine Tochter noch zu mir gesagt. Ausgerechnet Rosa, die immer nachts von der Arbeit nach Hause radelt. Ja, mit dem Fahrrad hätte ich jetzt keine Angst.
Habe ich Angst?
Bullshit. Ein bisschen ungemütlich ist mir zumute, aber das liegt nur an dem komischen Film. Wie der Mörder da in das Zugabteil sprang. Hab ich mich erschreckt! Ich bin überhaupt sehr schreckhaft. Und ich habe zu viel Phantasie. Viel zu viel. Was ich mir immer so alles ausdenke! Und immer gleich das Schlimmste!
Dabei, da drüben, der junge Mann, der ist bestimmt nur ein bisschen müde und traurig und schlufft
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