Der amerikanische Architekt
lasterhafter als ich.« Sie unterstrich »lasterhaft.«
»Inwiefern lasterhaft?«, fragte sie, als gehe es um einen Witz, über den sie gemeinsam lachen wollten.
»Normal«, sagte er, den Kopf schief gelegt, um sie aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. »Das trifft es besser. Er führt ein ganz normales Leben.«
»Was Mädchen angeht? Drogen? Alkohol?«
»Ich wollte sagen, dass er nicht religiös ist«, sagte Thomas, die Augen jetzt zu misstrauischen Schlitzen zusammengekniffen. »Er ist kein durchgeknallter Fanatiker. Und er ist verdammt talentiert – das müssen Sie auf jeden Fall drucken.«
Irgendwie schien sie Kroll dazu zu bringen, sich schützend vor Khan zu stellen. Dabei wollte sie hören, wie enttäuscht er darüber war, dass Khan Heimlichkeiten vor ihm hatte, diese Freundschaft und diese so typisch amerikanische Familie verraten hatte. Sie musste mit der Frau sprechen. Die würde dieses Thema sicher nur allzu gern mit ihr vertiefen.
»Er hat Ihnen also nie gesagt, dass er sich an der Ausschreibung beteiligt? Finden Sie das nicht ein bisschen seltsam? Ich meine, wo Sie doch vorhaben, gemeinsam eine Firma zu gründen, wo Sie doch so gute Freunde sind?« Lautes Geschrei aus dem Schlafzimmer; sie wartete, bis es vorbei war. »Ich könnte mir vorstellen, dass Sie immer alles gemeinsam machen.«
Thomas wurde ein bisschen rot und fing an, an seinem Ehering herumzuspielen. Das männliche Ego – man musste es mit Samthandschuhen anfassen. Sie durfte bei diesem Interview nicht zu sehr auf den demütigenden Aspekt eingehen, durfte nicht zu sehr darauf herumreiten, dass er von seinem besten Freund und Kumpel hintergangen worden war. »Ich meine, ich bin sicher, er hatte seine Gründe«, sagte sie. »Aber wie könnten diese Gründe ausgesehen haben?«
»Ich weiß es nicht«, sagte er müde. »Das würde ich ihn gern selbst fragen.«
Während ihrer Unterhaltung hatte das Telefon angefangen zu klingeln. Da Alice sich anscheinend nicht darum kümmern wollte, stand Thomas schließlich auf. »Wie viele?«, hörte Alyssa ihn sagen. »Ich verstehe. Nein, nein – lassen Sie sie auf keinen Fall rauf.«
Die Konkurrenz war da. Das Interview war vorbei. Alyssa gab Thomas ein paar Tipps, wie er die anderen Reporter am besten abwimmelte, und riet ihm, die Hausverwaltung zu bitten, vorübergehend zusätzliches Sicherheitspersonal bereitzustellen und den Portier zu instruieren, besser aufzupassen, als sei ihre Anwesenheit hier seine Schuld. »Die beiden Worte ›Kein Kommentar‹ sind Ihre besten Freunde«, sagte sie zu ihm. »Sie haben jedes Recht, sich darauf zu berufen, und nichts zu gewinnen, wenn sie reden. Mit irgendjemand sonst, meine ich.«
Sie verabschiedete sich und tätschelte dem kleinen Jungen, dem ältesten, der von hinten aufgetaucht war, den Kopf. Er duckte sich unter ihrer Hand weg und sah sie misstrauisch an. Diese klaren blauen Augen, diese seraphischen Vorwürfe. Sie hatte nie gut mit Kindern umgehen können.
In der Halle bedrängten Reporter den Portier, der inzwischen so konfus war, dass er kaum noch wusste, wohin mit sich selbst, und drohte, die Polizei zu rufen. Die Kollegen erkannten sie und stürzten auf sie zu. »Welche Wohnung? Welche Wohnung?« Sie zuckte die Schultern, als habe sie keine Ahnung, und sagte: »Ihr könnt euch die Mühe sparen. Der Schwamm ist trocken.« Damit trat sie aus der dunklen Halle ins Freie und blinzelte ins helle Sonnenlicht. Auf der anderen Straßenseite waren Bäume zu sehen – der Prospect Park, die grüne Lunge Brooklyns. Sie sog die Luft tief in ihre eigene Lunge ein.
10
I n Mr Chowdhurys Fisch- und Lebensmittelgeschäft belud Asma ihren Wagen mit Mehl, Reis, Tomaten, Milch, Öl, vier Sorten Gemüse und den Zeitungen in bengalischer Sprache. Jede Woche schien es eine neue solche Zeitung zu geben, was sie normalerweise mit Stolz erfüllte, weil ihre Landsleute so belesen waren. Nur wenn sie schlecht gelaunt war, sah sie diese Vielfalt als Ausdruck der Uneinigkeit, die unter ihnen herrschte. Sie bezahlte für die Zeitungen, froh darüber, nicht zu denen zu gehören, die vor der Kasse herumtrödelten und die Zeitungen umsonst lasen, als wären sie in einer Bibliothek, obwohl sie zugeben musste, dass sie es vor dem Geldsegen, der über sie hereingebrochen war, auch so gemacht hatte.
Der Großteil der Artikel befasste sich mit Bangladesch, und die meisten waren besorgniserregend: politische Auseinandersetzungen, Korruptionsvorwürfe gegen diesen oder
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