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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ein, dass sie nicht ausreichen würden. Stattdessen holte ich ihm ein Geschirrtuch aus der Küchenschublade. Er rubbelte sich damit das Gesicht ab, gewann halbwegs die Fassung zurück und starrte mich dann verzweifelt an. Seine Augen waren stark gerötet. Er hatte nicht erst vor meiner Haustür zu heulen begonnen; seinem Zustand nach war das den ganzen Nachmittag über der Fall.
    »Okay, Mike … worum geht’s? Ich möchte es gern verstehen.«
    »Das ganze Team macht sich über mich lustig, Mr. Amberson. Der Coach hat angefangen, mich Clark Gable zu nennen – das war beim Frühjahrspicknick vom Löwenrudel –, und jetzt tun es alle. Sogar Jimmy macht mit.« Gemeint war Jim LaDue, der fabel hafte Quarterback des Teams und Mikes bester Freund.
    Coach Bormans Verhalten überraschte mich nicht; er war ein Haudrauf, der Draufgängertum predigte und es nicht mochte, wenn jemand in seinem Revier wilderte, ob nun Saison war oder nicht. Und Mike war schon weit schlimmer bezeichnet worden; als Pausenaufsicht hatte ich Namen wie Polacken-Mike, Dschungel-George und Godzilla gehört. Über solche Spitznamen lachte er nur. Diese amüsierte, geradezu geistesabwesende Reaktion auf Spott und Bösartigkeiten war vielleicht die wertvollste Gabe, die Jungen wie er ihrer massiven Erscheinung verdankten, und mit gut zwei Metern und hundertzwanzig Kilo ließ Mike sogar mich fast wie Mickey Rooney aussehen.
    Bei den Lions, dem Footballteam der Schule, gab es nur einen Star, und das war Jim LaDue – hatte er nicht sogar eine eigene Werbetafel an der Kreuzung von Highway 77 und Route 109? Aber wenn es einen Spieler gab, der es Jim ermöglichte, ein Star zu sein, dann war das Mike Coslaw, der bei Texas A&M unterschreiben wollte, sobald seine Highschool-Saison beendet war. LaDue würde an der University of Alabama mit der ’Bama Crimson Tide rollen (wie sein Vater und er gern erzählten), aber wenn ich hätte wetten sollen, welcher von den beiden es bis zum Profi bringen würde, hätte ich auf Mike gesetzt. Ich mochte Jim, aber ich hatte das Gefühl, dass er anfällig für eine Knieverletzung oder eine aus gerenkte Schulter war. Mike dagegen schien auf Beständigkeit aus gelegt zu sein.
    »Was sagt Bobbi Jill dazu?« Mike und Bobbi Jill Allnut waren praktisch unzertrennlich. Bildhübsch? Versteht sich. Blondine? Versteht sich. Cheerleader? Wozu überhaupt noch fragen?
    Er grinste plötzlich. »Bobbi Jill steht tausendprozentig hinter mir. Sie sagt, dass ich mich zusammenreißen und aufhören soll, mich von den anderen ärgern zu lassen.«
    »Klingt nach einer vernünftigen jungen Dame.«
    »Yeah, sie ist die absolut Beste.«
    »Also, ich vermute, dass du mehr auf dem Herzen hast als deinen neuen Spitznamen.« Und als er nicht antwortete: »Mike? Red mit mir.«
    »Ich werd dort draußen vor allen diesen Leuten stehen und mich zum Narren machen. Das hat Jimmy mir gesagt.«
    »Jimmy ist als Quarterback spitze, und ich weiß, dass ihr dick befreundet seid, aber von Schauspielerei versteht er einen Scheiß.« Mike blinzelte ungläubig. Im Jahr 1961 hörte man von keinem Lehrer, selbst wenn er beschwipst war, Wörter wie Scheiß. Aber ich war natürlich nur eine Aushilfskraft, die etwas mehr Freiheit genoss. »Ich denke, dass du das weißt. Wie man hierzulande sagt: ›Du stolperst vielleicht, aber du bist nicht blöd.‹«
    »Die Leute halten mich aber dafür«, sagte er mit leiser Stimme. »Und ich hab in allen Fächern nur Dreier. Vielleicht wissen Sie das nicht, vielleicht kriegen Aushilfen die Notenbögen nicht zu sehen, aber die hab ich.«
    »Ich habe sie mir nach der zweiten Probenwoche, als ich wusste, was du auf der Bühne kannst, extra angesehen. Du hast lauter Dreier, weil von einem Footballspieler erwartet wird, dass er Dreier hat. Das gehört alles mit zum Profil.«
    »Zum was?«
    »Sieh zu, dass du das aus dem Kontext errätst, und spar dir die Dummen-Rolle für deine Freunde auf. Und für Coach Borman, der vermutlich eine Schnur an seine Trillerpfeife binden muss, damit er weiß, in welches Ende er blasen muss.«
    Mike kicherte, gerötete Augen hin oder her.
    »Hör mir jetzt mal zu. Jemand, der so groß ist wie du, halten die Leute automatisch für dumm. Widersprich mir, wenn du anderer Meinung bist, aber wie ich gehört habe, bist du seit dem zwölften Lebensjahr auffällig groß, und müsstest es also wissen.«
    Er widersprach mir nicht. Stattdessen sagte er: »Jeder aus dem Team hat versucht, den Lennie spielen zu dürfen. Das

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