Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Himmel bestellte. Er war riesig, und ich war zu nervös, um Appetit zu haben – schließlich bekam man nicht jeden Tag einen Menschen zu Gesicht, der sich anschickte, die Weltgeschichte zu verändern –, aber mit dem Salat vor mir konnte ich an etwas herumpicken, während ich auf die Maschine mit der Familie Oswald an Bord wartete.
    Von meinem Tisch aus konnte ich das Ankunftsgebäude gut überblicken. Es war nicht sehr belebt, und mir fiel eine junge Frau in einem blauen Reisekostüm ins Auge. Ihre Haare waren zu einem straffen Nackenknoten zusammengefasst. In jeder Hand trug sie einen Koffer. Ein schwarzer Gepäckträger näherte sich ihr. Sie schüttelte lächelnd den Kopf, dann schlug sie sich den rechten Arm am Stand der Flughafenmission an, an dem sie gerade vorbeikam. Sie ließ einen der Koffer fallen, rieb sich den Ellbogen, griff wieder nach dem Koffer und hastete weiter.
    Sadie, die für sechs Wochen nach Reno flog.
    War ich überrascht? Überhaupt nicht. Das war wieder diese Konvergenzsache. An die hatte ich mich gewöhnt. Empfand ich einen fast überwältigend starken Impuls, aus dem Restaurant zu stürmen und sie einzuholen, bevor es zu spät war? Natürlich empfand ich den.
    Einen Augenblick lang erschien das mehr als möglich, es erschien notwendig. Ich würde ihr erklären, das Schicksal (statt irgendeine etwas unheimliche Zeitreisenharmonie) habe uns auf dem Flughafen zusammengeführt. In Filmen funktionierte solches Zeug ja auch. Ich würde sie bitten, auf mich zu warten, während ich mir ein Ticket nach Reno kaufte, und ihr versichern, dass ich ihr dort alles erklären würde. Und nach der obligatorischen sechswöchigen Wartezeit konnten wir den Richter, der ihre Scheidung ausgesprochen hatte, zu einem Drink einladen, bevor wir vor ihm die Ehe schlossen.
    Ich machte sogar Anstalten, mich zu erheben. Dabei fiel mein Blick zufällig auf die Titelseite des Time Magazine, das ich am Zeitungsstand gekauft hatte. Das Foto zeigte Jacqueline Kennedy. Sie lächelte strahlend und trug ein ärmelloses, weißes Kleid mit V-Ausschnitt. Die Bildunterschrift lautete: DIE GATTIN DES PRÄSIDENTEN FÜR DEN SOMMER GEKLEIDET. Während ich das Foto betrachtete, verschwand die Farbe daraus, und das fröhliche Lächeln verwandelte sich in blickloses Starren. Jetzt stand sie neben Lyndon Johnson in der Air Force One und trug nicht mehr das hübsche (und leicht sexy) Sommerkleid. Es war einem blutbefleckten Kostüm aus Schurwolle gewichen. Ich erinnerte mich, gelesen zu haben – nicht in Als Notizen, sondern anderswo –, dass Lady Bird Johnson Mrs. Kennedy, deren Mann eben für tot erklärt worden sei, auf einem Krankenhausflur umarmt und dabei etwas vom Gehirn des toten Präsidenten auf diesem Kostüm gesehen habe.
    Eines per Kopfschuss getöteten Präsidenten. Und hinter ihm standen all die Toten, die es noch geben würde, in einer geisterhaften Reihe, die sich ins Unendliche erstreckte.
    Ich sank auf meinen Stuhl zurück und beobachtete, wie Sadie ihre Koffer zum Schalter von Frontier Airlines trug. Die Koffer waren offensichtlich schwer, aber sie trug sie con brio: mit geradem Rücken und flott klappernden niedrigen Absätzen. Der Angestellte wog die Gepäckstücke und stellte sie auf einen Gepäckwagen. Er und Sadie beredeten etwas; Sadie gab ihm das Ticket, das sie acht Wochen zuvor über ein Reisebüro gekauft hatte, und er kritzelte etwas darauf. Sie nahm es wieder an sich und wandte sich dem Ausgang zu. Ich hielt den Kopf gesenkt, um sicherzustellen, dass sie mich nicht bemerkte. Als ich wieder aufsah, war sie verschwunden.
    7
    Vierzig lange Minuten später kamen ein Mann, eine Frau und zwei kleine Kinder – ein Junge und ein Mädchen – am Restaurant vorbei. Der Junge ging fröhlich schwatzend an der Hand des Vaters, der nickend und lächelnd auf ihn herabsah. Der Vater war Robert Oswald.
    Die Lautsprecher plärrten: »Delta Airlines, Flug 194 aus Newark und Atlanta Municipal Airport ist gelandet. Fluggäste können an Flugsteig vier abgeholt werden. Delta Flug 194 ist gelandet.«
    Roberts Frau – Vada, wie ich aus Als Notizen wusste –, nahm das kleine Mädchen auf den Arm und ging schneller. Von Marguerite war nichts zu sehen.
    Ich pickte an meinem Salat herum, ohne zu schmecken, was ich aß. Mein Herz raste.
    Ich konnte näher kommenden Triebwerkslärm hören und sah den weißen Bug einer DC-8 , als sie an den Flugsteig heranrollte. Vor der Glastür drängten sich Abholer. Eine Bedienung tippte mir auf

Weitere Kostenlose Bücher