Der Apfel fällt nicht weit vom Mann
schob den letzten Termin des Tages aus seinem Behandlungszimmer und seufzte erleichtert, weil das Wartezimmer leer war.
Ein wunderbarer Vormittag war in einen ziemlich ätzenden Nachmittag gemündet.
Dann sah er Pip lachen.
Sie war so schön, wenn sie lachte.
Ihre gute Laune steckte ihn sofort an.
»Hätte irgendjemand Lust, mit mir etwas trinken zu gehen?«, fragte er in die Runde, sah dabei aber nur Pip an.
Die war sich nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte.
»Äh, kleinen Moment mal bitte, Clive.« Sie hielt die Hand über die Muschel. »Etwas trinken gehen?«, fragte sie nach.
Er nickte.
»Ja, klar, warum nicht? ... Wäre ... klasse.«
Klasse? Hatte sie wirklich gerade klasse gesagt?
Herrgott noch mal.
Aber ihm schien das egal zu sein, er strahlte sie an.
»Super.«
Sie schlug vor, in einen netten alten Pub am Fluss zu gehen, ihren und Nancys Lieblingspub, der von der Größe und vom Ambiente mit den unterschiedlichen Holztischen, dem Steinfußboden und dem im Hintergrund laufenden Jazz, den offenen Kaminen und dem Duft nach echtem englischen Ale angenehm urig war.
Außerdem gab es dort auch richtig gutes Essen. Dan beäugte die großen Tafeln an den Wänden, auf denen das Tagesmenü mit Kreide geschrieben stand.
»Ich habe einen Mordshunger. Hättest du was dagegen, wenn wir einen Happen zu uns nehmen?«
Ob Pip etwas dagegen hätte, wenn aus den Drinks ein Abendessen würde?
Heftig schüttelte sie den Kopf.
»Sehr gut«, sagte er und schnappte sich sofort eine der kleinen Speisekarten vom Tresen. »Ich finde es nämlich langsam ziemlich nervig, immer alleine zu essen. Das bin ich nicht gewöhnt.«
»Große Familie?«
Er schüttelte den Kopf.
»Einzelkind, aber meine Eltern hatten ständig Gäste, Essen war ein großes soziales Ereignis für sie ... Und darum genieße ich das hier jetzt, nachdem ich seit Wochen nur Take-away gegessen habe.«
»Und, wie läuft’s so? Lebst du dich gut ein in deiner Wohnung?«
Die Grimasse, die er zog, sagte alles.
»So schlimm?«
»Na ja, anfangs wirkte alles ganz toll, modern, sauber, in der Nähe der Praxis, Vermieterin und anderer Mieter höflich und angenehm ... Nur leider war mir nicht klar, dass ich das Badezimmer mit jemandem würde teilen müssen, der jeden Morgen geschlagene zwei Stunden braucht, um zu duschen und sich sein Toupet wieder aufzusetzen, und dass die Vermieterin mit Vorliebe bis zwei Uhr nachts bei voller Lautstärke Pavarotti hört.«
»Oh.«
»Yep, das fasst es ganz gut zusammen.«
»Aber in zwei Wochen ziehst du doch in dein eigenes Haus ein, oder?«
Er schüttelte den Kopf und seufzte.
»Das war der Plan, aber der geht leider nicht auf ...«
»O nein! Wieso? Was ist passiert?«
»Die Verkäufer wollten natürlich ein anderes Haus kaufen, sie hatten sich ein ganz bestimmtes ausgeguckt, aber die Sache hat sich leider zerschlagen, und darum verkaufen sie jetzt doch nicht. Aber ich bin wild entschlossen, mich nicht unterkriegen zu lassen.« Er rang sich ein Lächeln ab. »Ich werde schon etwas finden, wahrscheinlich sogar etwas Besseres. Aber jetzt fängt halt alles wieder von vorne an – das Suchen, die Besichtigungen, die Gutachten, die Notare ... Ich versuche, mich damit zu trösten, dass ich nur noch ein paar Wochen zur Miete wohnen muss, nicht den Rest meines Lebens, aber im Moment fühlt es sich echt an wie lebenslänglich.« Mit Leichenbittermiene stellte er sein Glas ab und fing an, Nessun dorma zu schmettern.
Pip lachte und sah sich dann im Pub um. Die anderen Gäste lauschten seiner spontanen Arieneinlage, aber das schien ihn herzlich wenig zu interessieren. Er hatte eine gute Stimme, voll und melodisch. Sie ging nahtlos vom Singen zum Lachen über, und dann lächelte er sie an, seine Augen so offen, aufmerksam und zielgerichtet, dass sie meinte, Funken darin sprühen zu sehen.
Und auf einmal sagte sie es.
»Bei uns ist ein Zimmer frei.«
Die Worte purzelten ihr einfach so aus dem Mund, sie hatte überhaupt nicht über sie nachgedacht, aber kaum hatte sie sie ausgesprochen, war sie froh darüber. Und legte gleich nach:
»Ist bloß eine winzige Kammer, aber als Übergangslösung wäre das doch nicht schlecht ...«
»Ist das dein Ernst?«
»Ja, klar.«
Er beobachtete sie einen Moment, unsicher, ob sie doch nur scherzte.
»Das ist wirklich dein Ernst?«
Pip nickte.
»Ich meine alles ernst, was ich sage.«
»Na, wenn das so ist, dann werde ich jetzt mal was für uns bestellen, und wenn du danach
Weitere Kostenlose Bücher