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Der Apfel fällt nicht weit vom Mann

Der Apfel fällt nicht weit vom Mann

Titel: Der Apfel fällt nicht weit vom Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Harvey
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eigenes Spiegelbild ... an dem Morgen, als Raphael verschwand.
    »Die Frage war ernst gemeint«, wisperte Pip mit rauer Stimme. »Hat jemand Beau gesehen? Er ist nämlich weg.«
    Während sich alle um Pip scharten, bemerkte niemand, wie Persicoria durch die offene Küchentür hereintappte und sich auf die Matte am Herd plumpsen ließ, wo auch schon Emerald und Eddie lagen. Ergo fiel auch niemandem auf, dass die Hündin vergnügt auf einem inzwischen ziemlich lädierten Stück Papier herumkaute. Von der Nachricht, die einmal darauf gestanden hatte, waren nur noch drei kleine, komplett durchweichte Wörter zu entziffern:
    »Tut mir leid ...«

– 34 –
    »Was meinst du, kommt sie raus?«
    Judy wartete zusammen mit den anderen vor Pips Tür darauf, dass Pip endlich wieder ihr Zimmer verließ.
    Ein merkwürdiger Rollentausch für Judy.
    Gestern Abend, kurz vor dem Essen, hatte ihre älteste Tochter sich verkrochen, nachdem sie praktisch den ganzen Tag lang die Einfahrt beobachtet hatte. Sie hatte erklärt, sie habe keinen Hunger und müsse Schlaf nachholen, und war resigniert und mit Emerald in der Gefolgschaft in ihr Zimmer verschwunden.
    Dort hatte Pip sich aufs Bett fallen lassen und die Zimmerdecke angestarrt. Als sie damit fertig war, dachte sie: Das alte Lied. Ich warte auf jemanden, der einfach verschwunden ist.
    Damals hatte sie gehofft und gebetet, dass es nie wieder passieren möge.
    »Wo ist er, Emerald? Warum ist er einfach so abgehauen? Aber vor allem: Kommt er wieder? Und kannst du mir mal sagen, warum er ohne ein Sterbenswörtchen weggefahren ist? Wo wir doch ...« Erschrocken riss Pip die Augen auf. »Oder war es gerade, weil wir ... ach herrje«, stöhnte sie und schlug sich die Hände vors Gesicht, »ist er deswegen weg ... weil wir im Bett gelandet sind?«
    Emerald schwieg und tat das Einzige, was ihr möglich war: Sie kuschelte sich an Pip und gab ihr einen dicken Hundeschmatzer.
    Pip schlang die Arme um die kleine Hündin und vergrub das Gesicht in deren dichtem, warmem Nackenfell.
    Sie sog etwas von der unendlichen Ruhe und Vernunft ein, die das Tier ihr in seiner bedingungslosen Liebe entgegenbrachte.
    Und sie versuchte, sich an das zu erinnern, was Balthazar gesagt hatte, nachdem er das letzte Mal fortgewesen war: »Nicht alle Männer brechen ihre Versprechen.«
    Aber beim letzten Mal hatte er ihr ja tatsächlich versprochen, wiederzukommen, und sie hatte gewusst, warum er weggefahren war und wohin. Er war nicht einfach wortlos verduftet.
    Diesmal hatte er ihr nichts versprochen, sich nicht mal von ihr verabschiedet. Er hatte einfach seine Tasche gepackt und sich verkrümelt.
    Pip fielen so viele mögliche Gründe ein.
    Vielleicht war er verheiratet.
    Auf einmal kriegte sie beim Gedanken an ihre gemeinsame Nacht ein richtig schlechtes Gewissen.
    Was wusste sie denn von ihm?
    Vielleicht waren die Frau und die vier kleinen Kinder doch kein Scherz gewesen.
    »So ein Quatsch, Pip«, sagte sie laut, und Emerald nickte, als wolle sie zustimmen.
    Vielleicht war etwas Schreckliches passiert.
    Ging es ihm gut?
    War er losgefahren, um bloß schnell etwas zu besorgen, und auf dem Heimweg irgendwie im Fluss gelandet? Um Gottes willen!
    »So ein Quatsch, Pip!« Diesmal sagte sie es etwas energischer.
    Vielleicht hatte sie etwas an sich, das die Männer veranlasste, sich in Luft aufzulösen, nachdem sie mit ihnen geschlafen hatte.
    »Schluss jetzt mit diesem Quatsch!« Pip setzte sich kerzengerade auf und fegte dabei fast Emerald neben sich vom Kissen.
    »Er muss einen sehr guten Grund gehabt haben.« Wieder sprach Pip laut. Ihre Stimme klang bemerkenswert sicher und ruhig, obwohl ihr Herz Purzelbäume schlug. »So gründlich kann ja wohl selbst ich mich nicht in einem Mann irren ...« Pip schaute Emerald in die Augen.
    »Manchmal muss man eben einfach Vertrauen in einen Menschen haben ...«, sagte sie energisch.
    Emerald seufzte dankbar. Hätte sie sprechen können, dann hätte sie ihrem Frauchen genau diesen letzten Satz gesagt.
    Pip legte sich wieder hin.
    Ohne den Körperkontakt mit Pip aufzugeben, gönnte Emerald sich eine bequemere Lage. Sie schloss die Augen, öffnete sie aber kurz darauf wieder, um sicherzugehen, dass Pip diesen Hinweis verstanden und es ihr nachgemacht hatte. Dann endlich überließ sie sich dem Schlaf.
    Jetzt zeigte sich, dass die anstrengenden letzten Wochen auch ihr Gutes hatten: Für eine weitere schlaflose Nacht war Pip viel zu müde. Minuten später schnarchten Frauchen

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