Der Apfel fällt nicht weit vom Mann
rufen, dass sie ihm lediglich anbieten würde, ihm etwas zum Mittagessen zu machen. Das war doch kein Grund zur Aufregung. Sie würden einfach nur zusammen etwas essen ... und dann würde sie ihm sagen, was sie für ihn empfand, und dann würden sie vielleicht noch ganz andere Dinge zusammen tun ...
Und so trug sie ihre Einkaufstüten in die Küche.
Wo sie Dan antraf.
Der aß aber bereits.
Sushi.
Wie die alten Japaner.
Von einem nackten Körper.
Von Nancys nacktem Körper.
– 14 –
Nyotaimori.
So hieß das.
Pip konnte sich nicht mehr erinnern, woher sie das wusste. Aber sie wusste, dass sie es nie mehr vergessen würde. Genauso wenig wie den Anblick von Dan und Nancy, die genau das praktizierten.
Er war also gar nicht krank.
Obwohl er ganz schön blass wurde, als Nancy erschrocken keuchte und ihn so auf ihre Zuschauerin aufmerksam machte.
Pip wurde jetzt richtig übel. Speiübel. Ohne ihre Einkaufstüten loszulassen, machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte aus der Wohnung. Warf sich in ihr Auto. Dort saß sie einen Augenblick und zitterte, bis sie sich einmal heftig schüttelte, als könne sie damit das Gesehene abstreifen.
Sie atmete tief aus. Schloss die Augen. Spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, und biss sich auf die Lippe, um nicht zu weinen.
Seit der Sache mit Beau hatte sie nicht mehr wegen eines Kerls geweint. Also würde sie jetzt auch nicht weinen.
»Ich habe keinen Anspruch auf ihn. Ich kann nur hoffen und wünschen«, murmelte sie zu sich selbst.
Als sie sich und ihre zitternden Hände wieder unter Kontrolle hatte, ließ sie den Motor an und fuhr weg.
Fünf Minuten später hielt sie links an, durchwühlte die Einkaufstüten, riss die Plastikschachtel auf, stopfte sich zwei Sahnetörtchen in den Mund und fuhr dann wieder weiter.
Als sie den Parkplatz vor der Tierarztpraxis erreichte, verschleierten allerdings schon wieder Tränen ihren Blick. Sie blieb kurz im Wagen sitzen und hielt das Lenkrad umklammert.
»Es gibt wirklich Wichtigeres ... Ich habe echt was Wichtigeres zu tun«, wiederholte sie ein ums andere Mal wie ein Mantra, bis sie ihre Finger davon überzeugt hatte, die Umklammerung des Lenkrads aufzugeben und den Tränenschleier wegzuwischen.
Aber noch konnte sie nicht reingehen, sie war noch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Beziehungsweise mit diesem Kurzfilm, der in ihrem Kopf in Endlosschleife lief ... Wie sie vor lauter Aufregung und Vorfreude lächelnd die Wohnung betritt, wie sie im Flur kurz stehen bleibt, wie sie in die Küche geht, wie sie sie zusammen sieht, wie ihre freudige Erregung im Sturzflug zu Boden geht und dort auf dem Linoleum zermatscht.
Immer und immer wieder sah sie es vor sich. Das immergleiche Bild: Dan mit Nancy. Nancy mit Dan. Ihre Nancy mit dem Dan, von dem sie gehofft und geträumt hatte, er könne ihr Dan sein.
Als sie noch zur Schule gingen, wollte Nancy immer gerne das haben, was Pip hatte. Ganz gleich, ob Klamotten, Bücher oder Jungs ...
Aber sie waren keine Schulkinder mehr.
Jeder hatte natürlich das Recht, so zu leben, wie er es wollte, zu tun, was er wollte und mit wem er wollte. Aber ... Nancy hatte doch gewusst ... Sie wusste doch, was Pip für Dan empfand, sie wusste, wie sehr Pip hoffte, dass sich zwischen ihnen etwas entwickeln würde – und doch hatte sie ihn ihr weggenommen.
»Ich habe keinen Anspruch auf ihn. Ich kann nur hoffen und wünschen«, wiederholte Pip leise. Und doch hallten die Worte in dem kleinen Auto so laut wider, als drängten sie aus einem riesigen Loch in ihrer Brust.
Ein Loch, das Pip mit einem weiteren Sahnetörtchen füllte.
Pip setzte offenbar eine sehr überzeugende Maske auf, als sie die Praxis betrat, denn niemand schien ihr anzusehen, wie schlecht ihr noch immer von der Enttäuschung – und von den Sahnetörtchen – war. Selbst als Maggie arglos, aber lasziv und wissend zwinkernd »Uuuund?« fragte, blieb Pips Miene ganz ruhig.
»Uuuund?«, wiederholte Pip, weil sie nicht wusste, was sie sonst antworten sollte.
»Hast du ihn gesehen?«
»Ja.«
»Und?«
»Und?«
»Wie war er so ...?« Maggie lechzte nach Einzelheiten.
Wie war er so?
Nackt. Glücklich. Hungrig.
Entsetzt. Betreten. Nackt.
Sehr, sehr nackt.
Wie Michelangelos David.
So nackt und so schön wie Michelangelos David.
Wie oft hatte sie ihn sich in den letzten Monaten nackt vorgestellt ... Allerdings ohne eine ebenfalls nackte Nancy unter ihm.
»Also, er schien tatsächlich irgendwie
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