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Der Apfel fällt nicht weit vom Mann

Der Apfel fällt nicht weit vom Mann

Titel: Der Apfel fällt nicht weit vom Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Harvey
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gegangen.
    Im Umdrehen bemerkte Viola die Silhouette von jemandem, der am Ufer stand.
    Irgendwie kam ihr der Typ bekannt vor.
    Eine Weile blieb sie im Schatten des Wirtshauses stehen und beobachtete ihn, sah ihm dabei zu, wie er sich im Mondschein bückte, flache Steine aufhob und über die glitzernde Wasseroberfläche hüpfen ließ.
    Er sang dabei. Irgendein aktuelles Lied, das Viola aus dem Radio kannte. Er hatte eine wunderschöne Stimme, weich und kräftig zugleich.
    Ohne nachzudenken, stimmte sie mit ein. Er drehte sich zu ihr um, sang dabei aber weiter und lächelte sie mit seinem Blick an. So sangen sie gemeinsam, und die ganze Situation war irgendwie surreal, aber wunderschön. Viola war wie berauscht und gleichzeitig leicht verlegen.
    Instinktiv drehte sie sich um und wollte gehen, doch er rief ihr nach:
    »Halt! Wer bist du?«
    Sie hielt kurz inne, dann drehte sie sich wieder zu ihm um.
    Er war auf sie zugerannt und stand nun keine zwei Meter von ihr entfernt.
    Jetzt brachte Viola auf einmal keinen Ton heraus.
    »Gut, dann fange ich an, ja?« Er tat noch zwei Schritte auf sie zu und reichte ihr die Hand. »Ich bin Tristan.«
    Sie zögerte kurz, bevor sie seine Hand nahm.
    »Viola.«
    »Viola«, wiederholte er.
    Er schüttelte ihre Hand nicht und ließ sie auch nicht wieder los. Er hielt sie einfach fest und sah Viola für ihren Geschmack viel zu tief in die Augen. Selbst bei der Dunkelheit konnte sie noch erkennen, wie stechend blau seine Augen waren.
    »Wunderschön«, sagte er.
    »Wunderschön?«
    »Deine Stimme ...«
    Die Antwort enttäuschte sie ein bisschen. Doch dann fügte er hinzu: »Du.«
    Er stand jetzt so dicht vor ihr, dass sie seinen Atem spüren konnte.
    Viola konnte sich später beim besten Willen nicht mehr erinnern, wie sich alles zutrug. Hatten sie nur einfach plötzlich so dicht voreinander gestanden, dass sich ihre Lippen zufällig berührten? Oder hatten sie sich absichtlich geküsst?
    Jedenfalls küssten sie sich. Zwei Fremde, vereint in einem spontanen Augenblick.
    Dann zerfetzte der Schrei eines Wasservogels die Stille, und Viola und Tristan rissen sich atemlos voneinander los. Beide schienen gleichermaßen überrascht angesichts dessen, was da gerade passiert war, doch ausgerechnet Viola, die doch sonst immer alles so locker nahm, war deutlich aufgewühlt.
    »Ich muss nach Hause!«, keuchte sie, entzog ihm ihre Hand und rannte davon.
    »Viola!«, rief er ihr hinterher.
    Doch dieses Mal drehte sie sich nicht noch mal um.
    Der Hang war ziemlich steil, aber Viola galoppierte ihn förmlich hinauf und bis ganz nach Hause.
    Ihr Herz schlug wie wild, als sie den Schlüssel zur Hintertür unter Major Jenson Junior hervorholte und sich lautlos Zutritt zur Küche verschaffte.
    »Ich weiß alles.«
    Violas Nervenkostüm war ohnehin schon stark angegriffen nach dieser zweiten und äußerst aufwühlenden Begegnung mit jenem jungen Mann, der sich ihr nun als Tristan vorgestellt hatte, der nach Zitrus und Meersalz duftete und samtweiche Lippen hatte – darum erschrak sie fast zu Tode, als Floras Stimme aus den dunklen Tiefen der Küche ertönte.
    Ich weiß alles? Sofort dachte Viola wieder an die Situation unten am Flussufer. Die Erinnerung war so klar und intensiv, als befände sie sich immer noch mittendrin.
    »Ich hab gesehen, wie du da reingegangen bist.« Flora sprach leise, schlug aber einen vorwurfsvollen Ton an. »In die alte Schule. Und ich kenne ihn, Viola, ich weiß genau, was er von dir verlangen wird.«
    »Die alte Schule?«, wiederholte Viola perplex. In ihrem Kopf waren nur ER und der Kuss, und so dauerte es einen Moment, bis sie wieder in der Wirklichkeit angekommen war und verstand, wovon ihre Schwester redete.
    »Die alte Schule.« Flora nickte. »Ich habe dich da reingehen sehen.«
    Sie hatte gesehen, wie sie in die alte Schule gegangen war.
    Der süße Traum, den sie gerade durchlebt hatte, löste sich auf.
    Sie war wieder ganz und gar zu Hause, in ihrer Küche, wo Flora mit verschränkten Armen und geschürzten Lippen vor ihr stand. Auf einmal kapierte sie, warum ihre Schwester sich so aufführte.
    Viola holte tief Luft. Sie hatte keine Lust, auszuweichen.
    »Und?«
    Flora bemerkte nicht, dass die Stimme ihrer sonst so gelassenen und beherrschten Schwester eine Oktave höher als sonst ausfiel. Flora runzelte einfach nur die Stirn.
    Jetzt sah sie genauso aus wie Pip, wenn sie nach Hause zitiert wurde, um irgendetwas geradezubiegen.
    »Na ja, sagen wir mal, das ist bestimmt

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