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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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anstrengend, eintönig und ermüdend, und jeden Abend fiel ich vor Erschöpfung ins Bett. Trotzdem besaßen, zumindest anfangs, alle mir aufgetragenen Tätigkeiten, selbst die allergewöhnlichsten, den strahlenden Glanz des Neuen. Ich hatte noch nie zuvor ein Haus mit so viel Hab und Gut gesehen, und es machte mir Spaß, die vielen Dinge zu berühren. Ein Schauder begierigen Vergnügens überkam mich, wenn ich den Esszimmerteppich klopfte und beobachtete, wie seine reiche Farbenpracht wieder zur Geltung kam, oder wenn ich eines der vielen lackierten Holzmöbel, die Zinngefäße und das glasierte Fulham-Steingut polierte, sodass unter dem Schleier aus Fett und Ruß die funkelnden Oberflächen wieder zutage traten. Jedes Mal, wenn ich mich selbst im Esszimmerspiegel sah, erschrak ich über die vollkommene Klarheit meines Abbilds. Es war mir unerträglich, dieses Spiegelbild beschmiert oder beschmutzt zu sehen, und so polierte ich den Spiegel so lange, bis er auf der dunklen Wand glänzte wie eine weiße Wintersonne.
    Die einzige Pflicht, der ich mich verweigerte, war die Reinigung der Nachttöpfe und Klosettstühle. Das überließ ich Mary. Sie begehrte nie dagegen auf, ohnehin hatte ich beschlossen, mich dumm zu stellen, falls sie es jemals täte. Uns war aufgetragen, sie, sobald ihr Inhalt begutachtet und dokumentiert war, in die Senkgrube unter dem Haus zu leeren. War zu diesem Zeitpunkt Mrs Black jedoch noch nicht vom Einkaufen zurück, verdrehte Mary kichernd die Augen, dass sie in ihrem Schädel hüpften wie Marionetten, und kippte den Inhalt der Nachttöpfe mit fröhlicher Unbekümmertheit einfach aus dem Fenster. Beide lauschten wir auf das Platschen. Wenn daraufhin ein Passant wütend aufschrie, musste auch ich lachen, aber ich tat es verstohlen. Ich prustete lautlos in mich hinein, denn wenn ich meine Erheiterung allzu offen zeigte, zupfte mich Mary wie ein ausgelassenes Kind am Ärmel und streckte mir ihr großes, schlaffes Gesicht entgegen, bis sich unsere Nasen fast berührten. Ihr Kinn war mit Speichel verkrustet, und sie stank aus dem Mund. Da hielt ich sie lieber auf Abstand.
    War die erste Arbeitsschicht erledigt und das Essen für den Apotheker und seine Frau zubereitet, durften wir in der Küche ein Frühstück einnehmen, bestehend aus Brot, Käse und Dünnbier. Mary schmatzte mit offenem Mund. Über uns hörten wir gelegentlich das Schellen der Ladenglocke und die knarrenden Schritte eines Kunden. Bei großem Andrang, was selten der Fall war, rief man mich, um beim Holen, Tragen und Verpacken der Waren zu helfen.
    Ich mochte diesen Laden. Er war nicht so dunkel, unzugänglich und stickig wie das übrige Haus. Die Tür wurde zwar selbst an warmen Tagen geschlossen gehalten, aber in den dicken Butzenscheiben sammelte sich das Sonnenlicht wie Sirup auf einem Flaschenboden und brachte die Maserung des kastanienbraunen Holzbodens zur Geltung. Mir gefiel die Klappe in der Tür, die es erlaubte, einen Kunden in Augenschein zu nehmen, bevor man ihn hereinließ. Ich mochte die Gerüche, den würzigen Heuduft der getrockneten Blüten und Kräuter, der den scharfen Essiggeruch und das exotische Harzaroma der orientalischen Essenzen überlagerte. Ich mochte die glänzende Theke, auf der man den schwachen Widerschein der eigenen Augen sehen konnte. Ich mochte die breiten, flachen Schubfächer mit den wie Muschelschalen geformten Messinggriffen, die Regalwände mit den dicht gedrängten Flaschen und Gläsern: die blauen und weißen, dick und gewichtig wie Ratsherren, in den unteren Fächern, die mit Stöpseln verschlossenen bernsteinfarbenen Flakons, die aussahen wie versteinerte medizinische Tropfen, sowie die Glasbehälter, die im Licht der frühen Morgensonne smaragdgrün leuchteten. Ich mochte das Geplauder der Kunden, die sich neigenden Schalen der klickenden Messingwaage, mit der Mrs Black Tee und Tabak auswog. Sogar die seltsame urzeitliche Kreatur, einen sogenannten Alligator, mochte ich, der von der Decke hing, mit seiner aufgesprungenen Haut und den braunen Zähnen, die dunkel wie Holzsplitter aus dem weit aufgerissenen Kiefer ragten.
    Das Einzige, was mich verstörte, war der Totenschädel auf dem Tisch. Er grinste unentwegt, als schöpfte er Trost aus dem Wissen, dass zwar sein eigener Tod schauerlich war, der des Betrachters aber noch sehr viel schauerlicher sein würde. Ich vermied es, ihn anzusehen, und studierte stattdessen die lebendigen Gesichter der Kunden nach Spuren, die die große

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