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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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UdSSR kommt und im geheimen Auftrag dere GPU, nach außenhin freilich aus eigenen Stücken, eine schwarze Börse für den Ankauf von Gold und Wertsachen gegen sowjetisches Papiergeld eröffnet (als Vorläufer der von GPU und Torgsin gestarteten «Goldkampagne»). Den Geschäftsleuten und Maklern gilt er seit Anno dazumal als vertrauenswürdig – so fließt denn das Gold in den Säckel der GPU. Die Aktion geht zu Ende, zum Dank dafür wird er von der GPU eingesperrt. Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste.
    Aber Frenkel gehört nicht zur leicht beleidigten Sorte, läßt sich nicht entmutigen und findet, noch auf der Lubjanka oder unterwegs zu den Solowki, «Kontakt» nach oben. Er muß wohl, als er sich in der Falle sitzen sah, beschlossen haben, auch diese Wendung einer sachlichen Betrachtung zu unterziehen. 1927 trifft er auf den Solowki ein, wird jedoch sofort abgesondert, in einem Steinhäuschen außerhalb des Klosters einquartiert, mit einer Ordonnanz für persönliche Dienste versehen und in seiner Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt. Wir erwähnten bereits, daß er zum Chef der Wirtschaftsstelle gemacht wurde (mit den Privilegien eines freien Mitarbeiters) und als solcher seine berühmte These von der Verwendbarkeit des Häftlings innerhalb der ersten drei Monate formulierte. Das Jahr 1928 sah ihn bereits auf Kern, wo er eine rentable Nebenwirtschaft organisiert. Das von den Mönchen in Jahrzehnten gesammelte und in den Klosterspeichern brachliegende Leder läßt er nach Kem bringen, er holt sich die Kürschner und Schuster aus dem Lager dazu, und liefert bald Modellschuhe und Lederwaren an das bekannte Moskauer Geschäft am renommierten Kusnezki-Most.
    Irgendwann einmal, so um 1929, kommt aus Moskau ein Flugzeug angeflogen und holt Frenkel zur Audienz bei Stalin ab. Der Beste Freund der Häftlinge (und Beste Freund der Tschekisten) verbringt mit Frenkel drei anregende Stunden. Das Stenogramm dieses Gesprächs wird niemals publik werden, es hat einfach gar keines gegeben, doch so viel ist klar, daß Frenkel vor dem Vater der Völker die berauschenden Perspektiven des sozialistischen Aufbaus vermittels der Arbeitskraft der Häftlinge ausgebreitet hat. Vieles von dem, was wir heute mit folgsamer Feder aus der Geographie des Archipels nachzeichnen, trug er mit kühnem Schwung, während der andere seine Pfeife schmauchte, auf der Karte der Union ein. Es war Frenkel, der das allumfassende System der Lagerbuchhaltung in Vorschlag brachte, und es muß bei eben jener Begegnung gewesen sein, daß er die systemtragende A-B-C-D-Gliederung darlegte, die weder einem Lagerkommandanten noch gar einem Häftling den kleinsten Durchschlupf freiließ: Jedermann, der nicht zum Lagerdienst herangezogen wird (B), nicht krank geschrieben (C), nicht mit Karzer bestraft (D) ist, muß sich an jedem Tag seiner Haftzeit vor den Karren spannen lassen (A). Die Weltgeschichte der Sträflingsarbeit hatte eine solche Universalität bis dahin nicht gekannt! Frenkel war es, der bei dieser Begegnung die Absage an das reaktionäre Gleichheitssystem bei der Beköstigung ins Gespräch brachte und das für den ganzen Archipel geltende System der Umverteilung der kärglichen Rationen entwarf, nämlich die Brotskala und die Warmkostskala, ein System, das er, nebenbei gesagt, von den Eskimos übernahm: den laufenden Hunden den Fisch an einer Stange vor die Nase hängen. Ein weiterer Vorschlag betraf die sogenannte Anrechnung und vorfristige Entlassung als Lohn für Vorzugsarbeit (auch hierin war er nicht originell: 1890 hatte Tschechow das eine wie das andere auf der Insel Sachalin entdeckt). Wahrscheinlich wurde bei besagter Aussprache auch das erste Experimentierfeld festgelegt – der große Belomorstroi, der Bau des Weißmeer-Ostsee-Kanals, kurz BBK genannt, wohin der unternehmungsfreudige Devisenschieber alsbald beordert werden sollte: nicht als Bauchef, nicht als Lagerkommandant, sondern auf den eigens für ihn geschaffenen Posten eines «Arbeitsleiters» – des Oberaufsehers auf dem Felde der Arbeitsschlacht.
    Hier ist er höchstpersönlich. Der böse, menschenverachtende Wille steht ihm im Gesicht geschrieben, besessen ist er von ihm. Bald aber wird ein sowjetischer Schriftsteller in einem Buch über den WeißmeerKanal folgende Ruhmesworte für ihn finden: «Die Augen eines Richters und Staatsanwalts, die Lippen eines Skeptikers und Satirikers … Ein Mann von gewaltiger Herrschsucht, ein stolzer Mann, für den die ungeteilte Macht sein

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