Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
ein und alles ist. Wo Furcht geboten war – da zitterte jedermann. Hart war sein Umgang mit den Ingenieuren und absichtlich erniedrigend.»
Im letzten Satz liegt, scheint’s, der Schlüssel zum Frenkelschen Charakter wie auch zu seinem Lebenslauf.
Zum Baubeginn am WeißmeerKanal wird er freigelassen.
Die lange Geschichte des Archipels, die zu beschreiben uns in diesem hausbackenen, selbstgezimmerten Buch zugefallen ist, hat während des halben Jahrhunderts im öffentlichen Schrifttum der Sowjetunion fast gar keinen Niederschlag gefunden. Wiederum hatte jener böse Zufall seine Hand mit im Spiel, der die Wachttürme der Lager sich niemals vor das Objektiv der Filmemacher, sich niemals auf die Landschaftsbilder der Maler verirren ließ.
Anders war es indes mit dem Weißmeer-und mit dem Wolga-Kanal. Zu jedem der beiden steht uns ein Druckwerk zur Verfügung, so daß wir zumindest bei diesem Kapitel auf dokumentarische und streng vertrauliche Zeugnisse zurückgreifen können.
In sorgfältigen Untersuchungen pflegt man die benutzte Quelle zunächst einmal zu charakterisieren. Beginnen auch wir damit.
Da liegt er vor uns, dieser Band, großformatig, beinahe eine Bibel, den Kopf des Halbgotts in den Einband geprägt. Das Buch – Der Weißmeer-Ostsee-Kanal namens Stalin – erschien 1934 im Staatsverlag GIS und ist, nach dem Willen der Verfasser, dem XVII. Parteitag gewidmet, wird wohl gerade zum Eröffnungstag fertig geworden sein. Es gehört zu Gorkis Reihe «Die Geschichte der Fabriken und Betriebe». Als Redakteure zeichnen Maxim Gorki, I. L. Awerbach und S. G. Firin. Der letzte Name ist in literarischen Kreisen kaum bekannt, darum eine Erläuterung: Semjon Firin war trotz seiner Jugend stellvertretender Chef des GULAG.
Die Entstehungsgeschichte des Buches ist folgende: Am 17. August 1933 fand eine Spazierfahrt von 120 Schriftstellern auf dem eben fertiggestellten Kanal statt. Der Vorarbeiter Dmitrij Witkowski, Häftling beim Kanalbau, hat es selber miterlebt, wie sich die Leute in den weißen Sommeranzügen während der Fahrt durch eine Schleuse an der Reling drängten, die Häftlinge zu sich winkten (von denen, nebenbei, nur noch einzelne vom Bau, die meisten schon vom Bedienungspersonal waren) und in Anwesenheit der Kanalobrigkeit zu wissen wünschten: ob sie ihren Kanal und ihre Arbeit mochten, ob sie glaubten, daß sie gebessert seien, und ob sich die Leitung um das Wohlergehen der Häftlinge auch wirklich und ausreichend kümmere. Der Fragen waren genug, aber alle im gleichen Stil, alle über die Bordwand hinweg gerufen, vor den Augen der Chefs und nur solange eben das Schiff in der Schleuse lag. Nach dieser Spazierfahrt brachten es 84 Schriftsteller irgendwie zuwege, sich vor der Teilnahme an Gorkis Kollektivwerk zu drücken (mag sein freilich, daß sie begeisterte Verse und Artikel in Eigenregie verfaßten), und die restlichen 36 bildeten das Autorenkollektiv, dessen mühsame Arbeit im Herbst 1933 und im darauffolgenden Winter von eben diesem einmaligen Werk gekrönt wurde.
Das Buch war wie für die Ewigkeit aufgemacht: Es lese darin die Nachkommenschaft – und staune. Eine seltsame Schicksalsfügung wollte indes, daß die Mehrzahl der darin verherrlichten und abgebildeten Funktionäre nach zwei, drei Jahren als Feinde des Volkes entlarvt wurden. Was also natürlicher, als die Gesamtauflage aus den Bibliotheksbeständen herauszufischen und einzustampfen. 1937 sorgten die privaten Besitzer für die Vernichtung des Restes: Wer hätte sich wegen des Buchs eine Frist einheimsen wollen? Nur wenige Exemplare sind bis zum heutigen Tage übriggeblieben, eine Neuauflage ist nicht zu erwarten; als um so drückender empfinde ich die Bürde, die in diesem Buch dargelegten Leitgedanken für unsere Landsleute aus der Vergessenheit zu retten.
Das große Entzücken angesichts der Lebensweise im Lager reißt die Verfasser zu panegyrischen Ergüssen hin:«In welchen Winkel der Union, und sei’s das finsterste Nest, das Schicksal uns auch verschlagen möge – jede beliebige Organisation der GPU trägt den Stempel von Ordnung … Exaktheit und Gesinnungstreue.» Und durch welche Organisation ist die GPU in Rußlands entlegensten Winkeln vertreten? Nur durch das Lager. DAS LAGER ALS LEUCHTE DES FORTSCHRITTS – man beachte das Niveau unseres historischen Quellenwerks.
Nun kam auch die Reihe an den Chefredakteur. Am 25. August 1933 hielt er vor den Teilnehmern des letzten Kanalarmistentreffens in der Stadt Dmitrow (an
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