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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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möglichst viele Lager für die geplanten umfangreichen Aushebungen bereitzustellen. (Die gleiche wirtschaftliche Notwendigkeit hatte auch Trotzki vorausgesehen, bloß daß er als Lösung seine Arbeitsarmee mit Zwangsrekrutierten anbot. Ach, Teufel ist wie Beelzebub … Und ob bei Stalin der Widerspruchsgeist gegen seinen ewigen Opponenten ausschlaggebend war oder der Wunsch obsiegte, den Menschen das Klagen und Hoffen mit einem Schlag auszutreiben, wie auch immer: Er verordnete die vorherige Bearbeitung der Arbeitsfrontler in der Faschiermaschine der Gefängnisindustrie.) Der Arbeitslosigkeit im Lande war der Kampf angesagt, und somit die Erweiterung der Lager ökonomisch begründet.
    Während es 1923 auf den Solowki höchstens 3000 Häftlinge gab, waren es 1930 bereits etwa 50 000 plus 30 000 in Kern. 1928 begann die Absiedlung der Solowezker Krebsgeschwulst – zuerst über Karelien, wo Straßen gebaut und Holz für den Export geschlagen werden mußten. Mit gleicher Bereitwilligkeit machte sich der SLON an das «Verhökern» von Ingenieuren; man schickte sie unbewacht an jede beliebige Arbeitsstelle im Norden, ihr Gehalt wurde ans Lager überwiesen. An allen Abschnitten der Murmansk-Bahn von Lodejnoje Pole bis Taibola waren 1929 bereits Lagerpunkte des SLON etabliert. Das Swir-Lag in Lodejnoje Pole stand zum Jahr 1930 fest auf eigenen Füßen, in Kotlas entstand das Kot-Lag. In Medweschegorsk wurde 1931 das Bel-Balt-Lag geboren, dazu auserwählt, innerhalb der nächsten zwei Jahre den ewigen Ruhm des Archipels zu begründen und über alle fünf Kontinente zu tragen.
    Die bösartigen Zellen wucherten unterdessen unermüdlich weiter. An der einen Seite stießen sie ans Meer, an der anderen auf die finnische Grenze, aber nichts hinderte sie daran, bei Krasnaja Wischera (1929) ein Lager zu bilden und vor allem – sich ungehemmt ostwärts auszubreiten, über den ganzen russischen Norden. Ein früher Vorstoß war die Strecke Soroka–Kotlas. («Wir bauen die Soroka-Bahn – übererfüllen jeden Plan!» verhöhnten die Häftlinge den Lagerpoeten Sergej Alymow, der sich indes nicht entmutigen ließ und es später tatsächlich zum anerkannten Liedtexter brachte.) Wo die Lagerzellen die Nördliche Dwina erreichten, bildeten sie das Sew-Dwin-Lag. Dann setzten sie über den Fluß und krochen furchtlos zum Ural weiter. 1931 erfolgte die Gründung der Nord-Ural-Abteilung des SLON, der die eigenständigen Solikam-Lag und Sewural-Lag entsprossen. Das Lager von Beresniki begann mit dem Bau eines großen und seinerzeit sehr berühmten Chemiewerkes. Im Sommer 1929 ging von den Solowki eine unbewachte Häftlingspartie unter der Leitung des Geologen M. W. Ruschtschinski ab, um am Tschibja-Fluß ein bereits in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entdecktes Erdöllager zu erforschen. Die Expedition war erfolgreich, an der Uchta entstand das Ucht-Lag. Es blieb freilich nicht untätig und metastasierte nach Nordosten, erfaßte die Petschora – und wurde zum Ucht-Petsch-Lag. Dieses besaß bald Abteilungen an der Uchta, Inta, Petschora und Workuta, jede für sich ein Grundstock für künftige höchst bedeutsame selbständige Lager.
    Zur Erschließung eines so weitausgedehnten und weglosen nördlichen Landstrichs bedarf es vor allem einer Eisenbahnstrecke; sie sollte von Kotlas über Knjasch-Pogosch und Roptscha nach Workuta führen. Die Errichtung von zwei weiteren selbständigen Lagern war vonnöten, Eisenbahnlager hießen sie nun: Sew-Schel-Dor-Lag im Abschnitt Kotlas – Petschora und Petschor-Lag (nicht zu verwechseln mit dem industriellen Petschora-Lager!) im Abschnitt Petschora-Workuta.
    So tauchten aus den Tiefen der Taiga und Tundra Hunderte von mittleren und kleineren Inselneubildungen auf. Ohne Stillstand, wie im Krieg, erfolgte auch die Umorganisierung des Archipels. Da gab es jetzt Lagerverwaltungen, Lagerabteilungen, Lagerpunkte (OLP für Einzel-, KOLP für Kommandanten-, GOLP für Kopflagerpunkt), Lageraußenstellen und -nebenstellen, Komandirowkas genannt. Die Verwaltungen aber gliederten sich in Ressorts und diese wiederum in Stellen: Die Erste war die Produktionsstelle (PTsch), die Zweite die Erfassungs-und Verteilungsstelle (URTsch) und die Dritte – die Oper-tschekistische (wieder die dritte! …).
    Der ganze nördliche Teil des Archipels ist somit aus den Solowki hervorgegangen. Doch nicht aus ihnen allein! Dem großen Ruf gehorchend, brachen die Besserungsarbeitslager und -kolonien allerorten im Lande auf.

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