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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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der Trasse des künftigen Moskwa-Wolga-Kanals, wohin sie bereits übersiedelt waren) eine Ansprache und sagte: «Seit 1928 verfolge ich mit Interesse, wie die OGPU die Menschen umerzieht.»(Das heißt – noch vor dem Besuch auf den Solowki, noch vor der Begegnung mit jenem später erschossenen Jungen; gleich nach der Heimkehr in die Union – und immerdar mit Interesse.) Und wandte sich, den Tränen nahe, an die anwesenden Tschekisten: «Ihr Teufelskerle wißt ja selber nicht, was ihr da schafft …» Die Verfasser notieren: «Die Tschekisten lächelten bloß.» (Sie wußten, was sie schufen …)
    Über die außerordentliche Bescheidenheit der Tschekisten schreibt Gorki auch im Buch selbst. (Diese ihre Abneigung gegen Publizität ist in der Tat ein rührender Charakterzug.)
    Die kollektiven Autoren haben nicht die Absicht, die Todesopfer des WeißmeerKanals einfach zu verschweigen, das heißt, dem feigen Rezept der Halbwahrheiten zu folgen, o nein, sie sagen geradeheraus, daß beim Kanalbau niemand stirbt! (Wahrscheinlich meinen sie’s so: Hunderttausend haben den Kanal begonnen, hunderttausend zu Ende gebaut. Sind also alle am Leben geblieben. Sie übersehen bloß die vom Bau in zwei grimmigen Wintern verschluckten Häftlingstransporte. Solcherart Erkenntnisse liegen freilich bereits auf dem Kosinus-Niveau des durchtriebenen Ingenieurstandes.)
    Nichts erscheint den Verfassern begeisternder als die Lagerarbeit. Die Fronarbeit ist ihnen höchster Ausdruck flammenden Schöpfertums. Hier die theoretische Basis der Besserung: «Die Verbrechen wurzeln in den früheren widerwärtigen Bedingungen, unser Land aber ist herrlich, mächtig und großmütig, es will verschönert werden.» Ihrer Meinung nach hätten die am Kanal zusammengetriebenen Verbrecher niemals den rechten Weg ins Leben gefunden, wenn die Brotherren ihnen nicht befohlen hätten, das Weiße Meer mit der Ostsee zu verbinden. Denn es ist ja «menschlicher Rohstoff um vieles schwerer zu bearbeiten als das Holz» – was für eine Sprache! Diese Tiefe! Wer schrieb das? – Gorki schreibt es in seinem Buch nieder, da, wo er gegen das «humanistische Geschwätz» ins Feld zieht. Und Soschtschenko, nachdem er sich in die Materie vertieft hatte: «Die Umerziehung entspricht nicht dem Wunsch, sich eine Gunst zu erschleichen und freizukommen [diesen Verdacht hat es demnach gegeben?], es handelt sich wirklich um einen Bewußtseinswandel; er äußert sich im Stolz des schaffenden Menschen.» O Menschenkenner! Warst du mal bei Strafkost vor den Karren gespannt? …

    Wir haben’s so eilig, daß schon Viehwagen um Viehwagen mit den Häftlingen an der Trasse ankommt, aber die Baracken, die sind noch nicht fertig, aber die Lebensmittel, die Geräte, der genaue Plan, die lassen auf sich warten.
    Unsere Autoren berauschen sich daran.
    Im flotten Ton notorischer Spaßmacher berichten sie uns. Die Frauen trugen bei der Ankunft Seidenkleider, bekamen Schubkarren in die Hand gedrückt! Sie platzen beinahe vor Lachen, wenn sie erzählen, wie aus den Krasnowodsker Lagern, aus Stalinabad und Samarkand Turkmenen und Tadschiken in ihren bunten Gewändern und mit Turbanen ankommen – mitten in den karelischen Winter hinein! Ha, da verschlägt’s den Basmatschen die Sprache! Die hiesige Norm lautet: Zwei Kubikmeter Granitfelsen brechen und mit dem Schubkarren hundert Meter weit fortschaffen! Derweilen fällt dichter Schnee, und bald ist alles darunter begraben, die Karren rutschen von den Laufstegen ab und stürzen um. So sieht das aus.
    Die verbreitetste Transportart des Kanalbaus? Die Grabarka, belehren uns die Verfasser, der Ziehwagen also. Daneben gibt es freilich die Weißmeer-Fords ! Wie die aussehen? Na so: Schwere Holzplatten werden auf vier runde Holzklötze (Rollen) montiert, zwei Gäule ziehen den Ford und schaffen die Steine weg. Der Schubkarren indes wird von zwei Menschen bedient, und wenn’s bergauf geht, greift ein dritter zu: der Lasthakenmann. Wie aber die Bäume fällen, wenn es weder Sägen noch Äxte gibt? Ein technisches Problem? Eine Lappalie für uns: Man binde Stricke um den Baum und lasse abwechselnd zwei Brigaden daran ziehen, mal hin, mal her, um die Wurzeln zu lockern ! Ach, gegen uns kommt niemand an! Bloß – warum? Na darum, weil DER KANAL AUF INITIATIVE UND IM AUFTRAG DES GENOSSEN STALIN GEBAUT WIRD!
    Darin liegt ja die Größe dieses Vorhabens, daß es ohne moderne Technik und ohne jegliche Belieferung durchs übrige Land bewerkstelligt wird!

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