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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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Untersuchungsgefangener fand ich bislang keinen Hinweis darauf, daß sie durch die Verhöre schlimmer entmutigt und in tiefere Verzweiflung gestürzt worden wären als die Männer. Der Gynäkologe N. I. Subow, der selbst seine zehn Jahre abgesessen und in den Lagern viele Frauen beobachtet und behandelt hat, meint allerdings, daß die Frauen, statistisch gesehen, unmittelbarer und stärker von der Verhaftung und der damit verbundenen Trennung von der Familie betroffen würden. Die Frau sei in ihrem Innersten verwundet, und es träten in den meisten Fällen Störungen der anfälligen weiblichen Funktionen auf.
    Es ist jedoch für uns alle und insbesondere für die Frauen das Gefängnis erst eine Kostprobe von der Haft. Die volle Kelle Elend bekommst du im Lager. Dort ist es der Frau beschieden, zu zerbrechen oder sich anzupassen, was ihr nur gelingt, wenn sie durch eine Kehrtwendung – eine andere wird.
    Im Lager ergeht es der Frau in allem schlimmer als uns. Schon mit dem Schmutz beginnt es. Sie hat in den Peresylkas und auf dem Transport schon genug darunter gelitten und sucht nun auch im Lager vergeblich nach Sauberkeit. Falls sie in einem Durchschnittslager sitzt, in einer Frauenbrigade arbeitet und folglich in einer allgemeinen Baracke lebt, wird es ihr kaum je gelingen, sich wirklich sauberzubekommen, warmes Wasser aufzutreiben (mancherorts gibt es nicht mal kaltes). Nie und nimmer kann sie sich auf legalem Wege ein Stück Mull, einen Stoffrest verschaffen. Vom Wäschewaschen ganz zu schweigen …
    Und die Banja? Ha, ha! Mit der Banja beginnt ja gerade die Empfangsprozedur im Lager – wenn wir vom Entladen der Viehwagen und vom Abtrieb der bepackten Häftlinge, Konvoi, Hundegebell und Schneegestöber inbegriffen, absehen. In der Lagerbanja, wo denn sonst?, wird die nackte Ware Weib in Augenschein genommen. Ob es Wasser in der Banja gibt oder nicht, die Läusekontrolle wie auch die Rasur der Achsel-und Schamhaare bieten den Friseuren (die in der Lagerhierarchie zu den Aristokraten zählen) Gelegenheit genug, die neuen Weiber zu begucken. Bald werden auch die übrigen Pridurki zu der Musterung herbeieilen. Von den Solowki stammt diese Tradition, doch war sie dort, an der Wiege des Archipels, durch eine GULAG-unspezifische Schamhaftigkeit kaschiert: Man besah sich die Frauen in Kleidern, während sie allerlei Hilfsarbeiten verrichteten. Der Archipel versteinerte indes, und die Musterung ging alsbald forscher vonstatten. Lachend erinnern sich heute Fedot S. und seine Frau (eine Fügung des Schicksals, daß sie auf diese Weise zusammenfanden!), wie die männlichen Pridurki zu beiden Seiten des schmalen Gangs Aufstellung nahmen, den die eingelieferten Frauen nackend entlanggejagt wurden, nicht alle auf einmal freilich, sondern jede einzeln. Danach knobelten die Pridurki untereinander aus, wem welche zufiel. (Laut Statistik der zwanziger Jahre kam auf sechs bis sieben einsitzende Männer eine Sek-Frau. Nach den Verordnungen der dreißiger und vierziger Jahre wurde dieses Verhältnis weitgehend ausgeglichen, doch so weit auch wieder nicht, daß eine Frau, namentlich eine hübsche, im Lager ihren Wert verloren hätte.) In manchen Lagern wurde beim Empfang die Etikette gewahrt: Man führt die Frauen bis zu ihrer Baracke, dort erst betreten die satten, fein herausgeputzten, selbstsicheren und schnoddrigen Pridurki die Szene. (Im Lager erscheinen einem nichtgeflickte, nichtverschmutzte Kleider sofort als Triumph der Eleganz!) Sie stolzieren gemächlich zwischen den Liegen umher, prüfen, wählen. Setzen sich zu einer hin, beginnen ein Gespräch. Laden die Erwählte «auf einen Sprung» zu sich ein. Zumal sie nicht in einer gemeinsamen Baracke, sondern in «Kabinen» zu einigen wenigen Mann wohnen und sogar eine Elektrokochplatte ihr eigen nennen und eine Bratpfanne dazu. Da setzen sie ihr Bratkartoffeln vor – o Wunschtraum der Menschheit! Fürs erste einfach als Leckerbissen, des Kontrastes halber: damit sich die Frau langsam der Maßstäbe des Lagerlebens bewußt wird. Die Ungeduldigen pochen gleich nach den Kartoffeln auf die «Bezahlung», die Dezenteren begleiten ihren Gast zurück und malen die Zukunft aus. Liebes Kind, mach es dir in der Zone wohnlich, Gentlemen mit guten Angeboten laufen dir nicht jeden Tag übern Weg. Es sei alles dein – ein sauberes Bett, ein Bottich zum Wäschewaschen, anständige Kleider und eine Arbeit, bei der du dich nicht übernimmst.
    Tatsächlich gibt es Frauen, die sich schon von

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