Der Archipel in Flammen
wenig, wie es ihm gelang, sich von dieser schrecklichen Umarmung frei zu machen. Dann wurde er draußen vorm Hause auf die Erde gestellt, zerschunden am ganzen Leibe, halb erstickt, außer stande zu mucksen.
Und dort sprach Xaris nichts weites zu ihm als:
"Tot schlage ich dich nicht, Kerl, weil sie es mich nicht geheißen hat. Aber wenn sie's mir sagt, dann tue ich's!"
Und dann schloß er die Tür.
Zu dieser Zeit und Stunde war die Straße leer. Niemand hatte sehen können, was vorging: daß nämlich Nikolas Starkos aus dem Hause des Bankiers Elisundo gejagt worden war. Aber hinein gehen hatte man ihn gesehen, und das war genug. Hieraus ging hervor, daß Henry d'Albaret, wenn er erfuhr, sein Nebenbuhler sei dort eingelassen worden, wo man ihm den Einlaß verweigerte, gleich aller Welt die Meinung gewinnen mußte, der Kapitän der "Karysta" sei mit dem jungen Mädchen auf dem Fuße eines Bräutigams verblieben.
Welch ein Schlag war das für ihn! Nikolas Starkos hatte Einlaß gefunden in jenem Hause, das ihm unerbittlich verschlossen gehalten wurde! Zuerst fühlte er die Versuchung an sich heranschleichen, dem Mädchen zu fluchen: und wem an seiner Statt wäre es vielleicht nicht so gegangen? Aber bald gewann er die Herrschaft über sich, seine Liebe trug den Sieg davon über seinen Zorn, und trotzdem der äußere Schein gegen das Mädchen sprach, rief er:
"Nein! nein! das kann nicht sein! ... Sie ... mit diesem Menschen! ... das kann nicht sein! das ist nicht! ... Nein, nein! das ist nicht!"
Indessen war Nikolas Starkos, trotz der von Hadschina Elisundo gegen ihn ausgestoßenen Drohungen nach reiflicher Ueberlegung zu dem Entschlusse gekommen, zu schweigen, nichts von dem Geheimnis zu offenbaren, das auf dem Leben des Bankiers lastete. Verhielt er sich ruhig, so blieb ihm völlige Handelsfreiheit, und Zeit dazu blieb ihm ja immer noch, falls es die Umstände später notwendig machten.
So wurde zwischen ihm und Skopelo vereinbart. Er verheimlichte seinem Leutnant nicht das geringste von dem, was zwischen ihm und Hadschina gesprochen und vorgegangen war, und Skopelo war gleich ihm der Meinung, nichts verlauten zu lassen und Zurückhaltung zu wahren, hingegen die Augen offen zu halten, um sofort handeln zu können, falls die Dinge eine ihren Plänen günstige Wendung nehmen sollten. Was ihm vornehmlich bedenklich vorkam, war die Abneigung der Erbin dagegen, sein Schweigen durch Ausfolgung der Erbschaft zu erkaufen. Warum sie hierzu nicht geneigt war, das vermochte er tatsächlich nicht zu verstehen.
Während der folgenden Tage, bis zum 12. November, wich Nikolas Starkos nicht vom Bord seines Schiffes, nicht auf eine Stunde. Er sann und kombinierte, Mittel und Wege zu finden, die ihn zum Ziele brächten. Zudem rechnete er halb und halb auf den glücklichen Zufall im Leben, der ihm während seiner ganzen Verbrecherlaufbahn in hervorragender Weise dienstbar gewesen war. Diesmal aber verrechnete er sich.
Nicht anders verhielt sich Henry d'Albaret: auch er lebte ganz ebenso abseits. Seine Versuche, eine Zusammenkunft mit dem jungen Mädchen zu erlangen, hatte er einstellen zu müssen geglaubt. Aber der Verzweiflung gab er sich nicht hin. Am 12. abends wurde ein Brief für ihn im Hotel abgegeben. Eine Ahnung sagte ihm, daß derselbe von Hadschina komme. Er öffnete ihn, blickte auf die Unterschrift und sah, daß er sich nicht geirrt hatte.
Der Brief enthielt nur wenige Zeilen, die von der Hand des jungen Mädchens geschrieben waren, und zwar die folgenden:
"Henry!
Meines Vaters Tod hat mich in den Rückbesitz meiner Freiheit gesetzt. Aber Sie müssen auf mich verzichten! Die Tochter des Bankiers ist Ihrer nicht würdig. Nie werde ich Nikolas Starkos, einem Schurken, angehören – aber die Ihrige, eines Ehrenmannes Frau! kann ich nicht werden! Nachsicht und Lebewohl!
Hadschina Elisundo."
Kaum hatte er zu Ende gelesen, als er auch schon, ohne zu überlegen, unterwegs war nach dem Hause in der Strada Reale.
Das Haus war geschlossen, verlassen, stand leer ... als hätte Hadschina Elisundo es mit ihrem getreuen Xaris verlassen auf Nimmerwiederkehr.
Neuntes Kapitel.
Archipel in Flammen
Die Insel Scio, heute allgemeiner Chio genannt, liegt am Aegäischen Meere, westlich vom Golfe von Smyrna, unfern der kleinasiatischen Küste. Mit Lesbos im Norden und Samos im Süden gehört sie zu der im Osten des Archipels gelegenen Gruppe der Sporaden. Sie erstreckt ich auf etwas über 40 Meilen im Durchmesser. Der pelinäische
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