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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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Innenansicht von Götz zu dem Schluss, dass er der Täter gewesen sein muss, wäre auch der letzte Zweifel an Götz’ Schuld für immer ausgelöscht.
    Es würde nicht das Buch über einen Prozess sein, sondern das Buch über ein Monster! Über einen Menschen, der nicht nur zu einer solchen Tat fähig war, sondern der über Monate hinweg auch noch daran festhielt, sie abzustreiten!
    Ben war jetzt hellwach.
    War das nicht das viel bessere Buch? Übte nicht ein Mensch, der dazu fähig war, seine Frau und seine beiden hilflosen Töchter mit roher Gewalt zu erschlagen –
und dann zu lügen und es abzustreiten 
–,
übte nicht so ein Mensch eine viel größere Faszination aus als ein armer Tropf, der nicht nur seine Familie verliert, sondern auch noch unschuldig dafür verurteilt wird?
    »Ja!«, stieß Ben hervor, stand auf und ging mit harten, kurzen Schritten in seinem Zimmer auf und ab. Es war wesentlich fesselnder. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr war er davon überzeugt, dass sein Buch erst dann wirklich seine Bestimmung, erst dann wirklich zu sich selbst fand, wenn sich die Hauptfigur darin als Mensch entpuppte, der gleichsam das Böse nicht fürchtete. Als ein Mensch, der selbst vor einer Tat, die an Abgründigkeit kaum zu überbieten war, nicht zurückschreckte. Das war es, das Kernstück des Buches, das er sich vorgenommen hatte. Hatten Ben vorher, bei allem Enthusiasmus, immer wieder Zweifel gequält, ob er sich vielleicht nur
einbildete,
dass dies ein großartiges Projekt sein würde, so war jetzt, bei dieser neuen Konzeption, jeder Zweifel wie fortgeblasen. Er würde seine Leser regelrecht umhauen, würde einen Menschen auftreten lassen, wie sie ihn noch nie kennengelernt hatten, würde sie hinein- und hinabführen in die Psyche einer Bestie. Aber nicht in die platte, leblose, hundertmal dargestellte Psyche einer
erfundenen
Figur, sondern in das blutdurchpulste, echte Seelenleben eines
wirklich existierenden Menschen.
Oder, besser gesagt, eines
Unmenschen,
der zwar äußerlich aussah wie ein Mensch, der charmant war, brillant, höflich, gebildet – unter dieser Oberfläche jedoch eine Tötungsmaschine verbarg, die nichts Menschliches mehr an sich hatte. Ja, so würde man als Leser denken, davon war Ben überzeugt. Zwar hatte man schon immer geahnt, dass es solche Menschen gab, vermutet, dass es unter der Oberfläche in ihrem Herzen so aussehen könnte. Nie zuvor aber hatte man das wahre Monster darunter wirklich kennengelernt. Genau das aber würde man in seinem Buch tun! Ein mehrere hundert Seiten starkes Porträt eines Wesens, bei dem ein Freund – ja, ein
Freund,
ein scheinbarer Freund! – alle Facetten der Persönlichkeit des Killers offenlegte. Eine Reise in nie zuvor betretenes Gebiet. Ein Buch, das Maßstäbe setzen würde!
     
    Bens Blick fiel auf das Telefon, das auf seinem Schreibtisch stand, und die Begeisterung, in die er sich hineingesteigert hatte, schmolz ein wenig ab.
    Er musste sie anrufen, diese Lillian Behringer. Aber was genau sollte er ihr sagen? Dass Götz ihn gebeten hatte, Kontakt mit ihr aufzunehmen? Würde sie dann nicht alles tun, um ihn
nicht
zu treffen?
    Musste er Götz jedoch mitteilen, dass er Frau Behringer
nicht
getroffen hatte, würde dieser das mit Sicherheit nicht einfach hinnehmen. Schließlich erhoffte sich Götz ein Alibi von ihr. Es bestand also durchaus die Gefahr, dass Ben bei einem Misserfolg in Sachen Behringer die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Götz, die ja gerade erst so vielversprechend begonnen hatte, wieder einbüßte. Ausgerechnet jetzt, wo Ben die Zielrichtung seines Buches endlich glasklar vor Augen stand!

39
    Die Stimmen, das Lachen, die Musik hatten sich zu einem zähen Brei vermengt, einem Rauschen, das sie vor sich hertrieb. Mia irrte durch die Gänge des fensterlosen Labyrinths, in dem sie gelandet war, sie wollte nicht länger bleiben. Es war falsch gewesen, hierherzukommen, sie hatte es von Anfang an gewusst. Längst hatte sie die Orientierung verloren, wusste nicht mehr, wo sie ihre Tasche abgestellt hatte, nicht mehr, in welchem Bereich des Baus sie inzwischen gelandet war, nur dass sie Dunja finden musste, dass sie sie bitten wollte zu gehen – das war ihr klar.
    Bevor sie sich getrennt hatten, hatte Dunja gesagt, dass sie sich bei den Spieltischen treffen würden. Als Mia sich endlich zu den dunkelrot ausgeschlagenen Räumen durchgefragt hatte, in denen die Menschen mit ihren Plastikgesichtern zu Dutzenden an den

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