Der Architekt
überlegen.
»Darf ich einen Fahrer vorbeischicken, der Sie abholt?«
»Ja, das ginge natürlich auch …« Es klang, als hätte seine letzte Äußerung ihre Antwort fast wie einen Reflex ausgelöst.
»Ich habe einen Tisch im Four Seasons reservieren lassen«, versuchte Ben, den Sack zuzumachen. »Um acht? Das würde mich wirklich sehr freuen.«
Er wusste, dass er sie überfiel, aber er hatte sich eher auf seinen Instinkt verlassen als gegrübelt, wie er am besten vorgehen sollte.
»In Ordnung.«
»Großartig! Ich erwarte Sie dort.«
41
Der Saal des Restaurants verfügte über mehrere schaufenstergroße Glasscheiben, die auf den Gendarmenmarkt hinausgingen. Halbhohe weiße Vorhänge schirmten die Speisenden vor den Blicken der Passanten ab, über die Vorhänge hinweg konnte man jedoch die beiden Kirchen und das Konzerthaus auf dem Platz sehen.
Ben nippte an einem Weißwein, den er sich hatte kommen lassen. Er war unruhig und gespannt. Nach dem Telefongespräch hatte er einen Limousinenservice herausgesucht und der Vermittlung eingeschärft, der Fahrer solle sich als Angestellter eines gewissen Henning Jacoby ausgeben. Dafür war Ben bereit gewesen, fünfzig Euro extra zu zahlen. Dann hatte er geduscht und seine frisch gewaschenen, abgetragenen Jeans angezogen, die er für den Anlass am angemessensten hielt, dazu ein sauber gebügeltes, weißes Hemd.
»Möchten Sie schon etwas bestellen?« Der Kellner lächelte nicht und wirkte doch absolut dienstfertig.
»Ich warte noch einen Augenblick, danke.«
Mit einem Nicken entfernte sich der Ober wieder.
Ben warf einen Blick auf die Uhr. Viertel nach acht. Und wenn sie nicht kam? Er zog sein Handy aus der Tasche, checkte das Display. Keine Anrufe.
Er spürte, wie die zwei Geschäftsleute am Nachbartisch aufsahen. Und blickte hoch. Eine Frau, Ben schätzte sie auf Anfang dreißig, war am Eingang beim Kellner stehen geblieben. Ihren Mantel musste sie bereits abgegeben haben, denn sie trug nur ein einfarbiges, geripptes Wollkleid, das bis knapp über das Knie reichte. Ihr Haar war am Hinterkopf zu einem dicken Knoten zusammengebunden, in der Hand hielt sie eine Tasche, die nicht größer war als ein längliches Buch.
Der Kellner nickte und setzte sich in Bewegung, direkt auf den Tisch zu, an dem Ben saß. Bens Eingeweide zogen sich zusammen. Einen kurzen Augenblick verdeckte der Kellner die Frau. Ben hörte nur das Klicken ihrer Absätze auf dem Steinfußboden, dann sah er, wie der Kellner zur Seite trat, mit der Hand auf Bens Tisch deutete – und stand auf. Sie blickte ihm geradewegs ins Gesicht.
»Frau Behringer?« Ben spürte, wie er leuchtete.
»Herr Jacoby.«
Ihre Hand glitt in seine.
»Freut mich sehr.«
Sie lächelte. Ihre Augen waren dunkel, glänzten, ihre Lippen waren dezent geschminkt.
»Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu lange warten lassen.«
Ben ließ ihre Hand los. Sie war etwas kleiner als er, das Kleid umfloss ihren Körper wie die Fischhaut eine Meerjungfrau.
»Aber nein«, seine Hände zitterten ein wenig. »Bitte, setzen Sie sich.«
Sie nahm ihm gegenüber Platz, legte ihre Handtasche neben sich auf das gestärkte weiße Tischtuch. Ben hatte vorgehabt, ihr möglichst gleich zu eröffnen, wer er in Wirklichkeit war, kaum dass sie zusammen am Tisch sitzen würden. Jetzt aber, als er sie vor sich sah, ihre Augen, ihre Ausstrahlung ihn unmittelbar berührten, ja, er auch wahrnahm, wie die beiden Business-Typen am Nebentisch auf ihre Erscheinung reagierten, war er sich nicht mehr so sicher, ob es wirklich das Beste war, gleich damit anzufangen, dass Götz derjenige war, der ihn schickte. Riskierte er damit nicht, dass sie ihm knapp mitteilte, das gerne bereits vorher gewusst zu haben, aufstand und ging? Er konnte sie ja schlecht am Arm festhalten. Auf der anderen Seite aber zeigte ihr Kommen doch, dass sie durchaus bereit war, ein wenig Zeit mit ihm zu verbringen. Und könnte sie ihm nicht einiges über Götz erzählen?
»Sind Sie auch im Baugeschäft?« Sie hatte den Kopf ein wenig geneigt und sah ihn von unten herauf an.
»Nein!« Ben suchte noch nach seiner Rolle. »Anwalt.« Genau. »Ich gehöre zum Team von Steffen Seewald.«
»Ach ja?« Ihr Körper schien sich etwas anzuspannen.
»Sie kennen Seewald? Er vertritt Julian Götz, den Inhaber von Götz Town Structures in dessen Prozess. Manfred Noack war so freundlich, Herrn Götz unsere Kanzlei zu empfehlen.«
Ihre Finger trommelten leicht auf die Handtasche. »Noack, Sie erwähnten
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