Der Architekt
ich dich zurückrufen?«
»Ja, sorry, natürlich.« Er konnte ihr regelrecht anhören, wie der Ton seiner Stimme sie erschreckt haben musste. »Ich wollte nur mal kurz durchrufen, ruf mich an.« Es klickte.
»Sorry«, sagte jetzt auch Ben und schaltete demonstrativ sein Handy aus, während der Kellner sich bereits vom Tisch entfernte. Dann bemerkte er Lillians belustigten Blick. »Nein wirklich, ich würde sehr gern etwas mit Ihnen besprechen.«
»Besprechen.«
Er überhörte den spöttischen Klang ihrer Stimme. »Ja, genau.« Zwar hatte er bereits erhebliche Ausgaben getätigt, sein eigentliches Anliegen jedoch nicht einmal erwähnt. Dass sie mitspielte, war wichtig für ihn – es durfte nicht schiefgehen. »Wäre das okay für Sie?« Ben lächelte sie freundlich an.
Sie lehnte sich zurück.
»Es ist eine, wie soll ich sagen, etwas delikate Angelegenheit. Ich dachte, ich könnte mit Ihnen hier am Tisch darüber sprechen, aber jetzt, wo wir hier sind, sehe ich, dass das doch keine so gute Idee wäre.« Er hob das Glas. »Was sagen Sie?«
Lillian ließ ihres stehen. »Ich weiß nicht, ob ich wirklich gespannt bin.«
Ben lachte. »Das sollten Sie aber sein, Frau Behringer.« Und er hatte den Eindruck, als würde sich seine Überzeugtheit auf sie übertragen.
42
Mia versuchte, sich zu orientieren.
Die Menschen um sie herum wirkten trunken, wie benommen, verzaubert.
Sie ragten vor ihr auf, zu Gruppen verschlungen, aus denen sie nur hin und wieder ein übernatürlich glattes Plastikgesicht hervorblitzen sah. Leiber, Arme, Hälse, die sich umeinander rankten, hinabgebogen zu einer liegenden Frau, einem knienden Mann. Die in der Dunkelheit durchweg schwarz wirkenden Kleider waren zu Faltenbergen zusammengerafft, aus denen eine Hand, ein Bein, ein Bauch hervorsahen, Glieder, die nach Mia griffen, während sie versuchte, sich fernzuhalten.
Verzweifelt bemühte sie sich darum, in dem Gewirr der Räume die Stelle wiederzufinden, an der sie mit Dunja das Labyrinth betreten hatte. Den Punkt, an dem sie durch die Tür hindurch zurück in das Parkhaus gelangen würde. Aber je länger Mia umherirrte, desto mehr verwirrte sie das verschachtelte System der nur durch vereinzelte Lichtschimmer und Reflexionen beleuchteten, fast beweglich wirkenden Räume.
43
Mit der Schlüsselkarte für Zimmer 412 in der Hand schritt Ben durch den blitzsauberen Hotelflur im vierten Stock. Das Zimmer hatte er vorsorglich reserviert. Er hatte sich schon gedacht, dass es schwierig werden könnte, die Dinge, die er mit Lillian Behringer zu besprechen hatte, unter all den anderen Menschen im Restaurant vorzubringen.
Sie hatten sich beim Essen auf einen Hauptgang beschränkt. Ben hatte darauf geachtet, dass weder er noch Lillian über ihre Arbeit reden mussten. Stattdessen hatte er unverfängliche Themen angeschnitten, hatte versucht herauszubekommen, wohin sie gern reiste, ob sie gern ins Kino ging, was sie las. Es war ihm nicht schwergefallen. Sie hatte bewiesen, dass sie Sinn für Humor hatte, das Essen war außergewöhnlich gut gewesen, und Lillian schien sich damit abgefunden zu haben, ein wenig Zeit für ihn zu opfern. So war das Essen wie im Flug vergangen, auch wenn sie nicht viel von sich preisgegeben hatte.
Zimmer 412 . Ben steckte die Plastikkarte in das Schloss, die Leuchtdiode sprang von Rot auf Grün, und es knackte. Lillian hatte ihn gebeten, zuerst allein in das Zimmer gehen zu können. Vielleicht hatte sie sich überzeugen wollen, dass alles in Ordnung war. Er hatte nichts dagegen gehabt, ihr seine Schlüsselkarte ausgehändigt und sich an der Rezeption eine zweite Karte geben lassen.
Ben drückte die Klinke nach unten. Lautlos schwenkte die schwere Holztür auf. Er trat in ein kleines Vorzimmer.
»Frau Behringer?«
Keine Antwort. Er ließ die Zimmertür hinter sich zugleiten und die Chipkarte in der Seitentasche seines Jacketts verschwinden. Dann öffnete er die Zwischentür, die in die Suite führte.
Sie stand mit dem Rücken zu ihm am Fenster, das auf den Gendarmenmarkt hinausging. Ihre Arme waren verschränkt, es roch nach der Zigarette, die sie auf der Höhe ihres Kinns in der Rechten hielt.
Sie drehte sich nicht um.
»Alles in Ordnung?«
»Ja.« Sie schaute nach draußen.
Ben holte sein Portemonnaie hervor. Zählte vierhundert Euro ab, legte sie auf den kleinen pseudoantiken Schreibtisch, der rechts an der Wand stand. Vierhundert müssten doch genügen, dachte er.
Sie hatte sich noch immer nicht umgesehen.
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