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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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Freund so geendet ist. Also, ohne jetzt allzu sehr vereinfachen zu wollen …«
    Ben lächelte, aber er spürte selbst, dass es kalt aussah. »Herr Götz, hören Sie. Ein bisschen müssen Sie mir schon vertrauen. Wir können keine Chronik Ihrer Bauten herausgeben. Wir brauchen Emotionen, Lebendigkeit, das haben Sie doch selbst gesagt. Es muss mir gelingen, an Sie heranzukommen.« Er lehnte sich ebenfalls zurück. »Nicht dass Sie mich da falsch verstehen. Ich will Ihnen nicht zu nahe treten. Aber ich muss an Ihre … Gefühle herankommen, sonst wird das Buch nicht funktionieren. Es wird tot sein, steril, uninteressant, wenn wir es nicht schaffen, auch die Dinge zum Thema zu machen, die für Sie persönlich wichtig sind.« Er legte die Hände auf die Tischplatte. »Sicher, Ihre Bauten sind Ihnen wichtig. Was wir in dem Buch aber auch vermitteln müssen, ist, was Sie schmerzt, was Sie bewegt, auch wenn Sie das vielleicht gar nicht wollen.« Er nahm die Hände vom Tisch und steckte sie in die Hosentaschen. »Ich weiß, dass das nicht einfach ist, aber anders geht es nicht. Da müssen wir schon ran. Und ich denke, Caspar ist ein guter Anfangspunkt. Da könnten wir sicher viel Gold heben.«
    Götz hatte ihm ruhig zugehört, sein Gesichtsausdruck jedoch verriet, dass ihm Bens Erläuterungen widerstrebten.
    »Na schön«, entgegnete er schließlich, »was wollen Sie wissen?«
    »Was für ein Mensch er war. Was es war, das Sie zu ihm hingezogen hat. Was Sie dazu bringt, zu sagen, dass er ein besonderer Mensch war.«
    Götz’ Blick ging an Bens Gesicht vorbei. »Es waren natürlich auch seine Entwürfe, seine Architektur«, sagte er nachdenklich. »Caspar hat nie was gebaut, aber er hatte großartige Ideen. Vorstellungen, die er nur mit ein paar Strichen aufs Papier warf und die sofort ein Bild im Kopf erzeugten. Ein Bild, bei dem man dachte: Genau! Das will ich sehen, vor dem Gebäude will ich stehen!« Götz fixierte jetzt Ben. »Und der Grund dafür, dass man davor stehen wollte? Die Entwürfe, also die Gebäude, die Caspar imaginierte, waren, wie soll ich sagen,
erhaben,
verstehen Sie?« Er atmete aus. »Natürlich waren viele der Auffassung, das hätte mit Architektur nichts mehr zu tun, deshalb hat Caspar auch nie ein Gebäude realisiert. Er hat einfach in Dimensionen gedacht, die jeden Rahmen sprengten. Er hat Gebäude und Strukturen konzipiert, deren schiere Größe alles übertraf, was man sonst baute – aber auch, was man
plante!
Ich meine, natürlich ist in diesem Bereich der Architekturvisionen eine Menge möglich, das ist ja ein ganz eigenes Gebiet. Das geht mehr in Richtung Poesie, wenn Sie so wollen. Steinpoesie hat Caspar das mal genannt. Die Vorstellung einer Kuppel, die sich über eine ganze Stadt wölbt, zum Beispiel, aber auch Visionen, vor denen man zurückschaudert. Ein Gebäude so groß wie ein Kontinent, Megastrukturen, deren schiere Größe allein einen einschüchtert …«
    Bens Stift flog über das Papier.
    »Diese Einschüchterung aber«, Götz hatte sich jetzt weit über den Tisch gebeugt, »ist in gewisser Weise ja ein Einfluss, den das Gebäude auf uns hat, richtig? Dieses Gefühl des Erhabenen, des Staunens, ist ja eine Wirkung,
die von dem Bau ausgeht und sich auf uns überträgt.
« Er richtete sich auf. »Und genau
das
war der Kern der Überlegungen von Caspar und mir: Wie ein Bau auf einen Besucher, einen Betrachter, einen Bewohner
wirkt.
«
    Er sah Ben mit leicht verengten Augen an, als wollte er überprüfen, wie Ben aufnahm, was er sagte.
    Ben nickte langsam.
    »Zunächst einmal ist das ja ein ganz einfacher Gedanke«, fuhr Götz fort. »Sie können ja mit einem Gebäude ganz bestimmte Assoziationen, Stimmungen, Gefühle wecken. Sie können zum Beispiel den Eindruck eines Kellergewölbes heraufbeschwören oder einer Gefängnislandschaft, einer Bergvilla, eines urbanen Settings, einer Fabrikwüste. Das kann in alle möglichen Richtungen gehen, man könnte sich zum Beispiel auch Gebäude vorstellen, die biologistische Assoziationen hervorrufen, die zu leben, sich zu verändern scheinen, Gebäude, die mit dem Geist, dem Unterbewussten der Bewohner kommunizieren. Da gibt es ja keine Grenzen.« Seine Augen leuchteten. »Eine etwas ausgefallenere Idee, die Caspar und ich verfolgt haben, betraf, um ein anderes Beispiel zu nennen, die Wirkung, die man mit einem Gebäude erzielen kann, wenn man den Besucher durch die Außenhülle des Baus in eine bestimmte
Erwartung
versetzt – und diese

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