Der Architekt
er hat damit experimentiert, er hat mich dahin gebracht, es auch wissen zu wollen …«
»Was wissen zu wollen?«
»Wie sehr ich mich in diesen Vorstellungen verlieren kann.«
Ben schwirrte der Kopf.
»Ich habe gebrüllt«, flüsterte sie. »Er hat mich entkleidet und tagelang aufgestachelt. Ich konnte es nicht fassen, wie es ihm gelang, die Erregung über Stunden zu steigern, bis der Körper ausgepumpt in sich zusammenfällt, nur um noch einmal aus seiner Erschlaffung herausgerissen zu werden. Wenn die Sinne bereits überreizt sind, zu brennen scheinen, es schmerzhaft ist …«
Ben spürte, wie sich der Whisky in seinem Kopf ausbreitete.
»Ich weiß nicht, wie es möglich war, aber ich habe mich darauf eingelassen …«
Sie wischte sich über den Mund. Ben beugte sich vor, ergriff ihre Hand, fühlte, dass ihre Finger ein wenig feucht waren. Vorsichtig führte er seine Hand zu ihrem Mund und berührte mit dem Handrücken ihre Lippen. Er wollte nicht mehr hören, wie sie über Götz sprach.
Dunkelgrün und weit geöffnet blickten ihn ihre Augen über seinen Handrücken hinweg an. Sanft drückte er sie zurück auf das Bett, fing sie mit dem anderen Arm ab. Der Alkohol peitschte ihn auf. Das Gefühl, nach all den Stunden der überspannten Erwartung ihren Körper endlich zu berühren, spülte den letzten Rest von Vorsicht hinweg.
Der Laut kam gepresst unter seinen Fingern hervor, dann hatte sie sich seinem Griff entwunden. Ben katapultierte sich nach vorn, wollte sie packen, doch sie war schneller, sprang vom Bett und war aus dem Zimmer.
Er lauschte. Die Haustür schlug nicht. Sie rief auch nicht, dass er gehen sollte. Sie wartete auf ihn!
Er griff nach der Flasche, setzte sie an die Lippen, trank in tiefen Zügen. Er musste sich irgendwie zügeln, die Aufregung, die Verwirrung zerrte an seinen Nerven. Er hatte das Gefühl, sich am liebsten in der Mitte durchreißen zu wollen, um endlich zur Ruhe zu kommen.
Dann schlich er den Flur entlang. An seinem Ende blieb eine letzte Tür. Ben drückte die Klinke, doch die Tür ließ sich nicht öffnen. Er trat einen Schritt zurück, hob den Fuß, rammte ihn mit voller Wucht gegen das Holz neben der Klinke. Das Schloss platzte auf, die Tür flog nach innen.
Sie stand im Zimmer, die Haare schweißverklebt im Gesicht, die Hände hinter sich gegen die Wand gestützt. Er ging zu ihr, griff nach dem Pullover, zog den weiten Ausschnitt auseinander, so dass er den Stoff über ihre Schultern, ihre Brüste nach unten streifen konnte. Kniete sich vor sie, schob die weichen Hosen mitsamt Slip über ihr Becken zu den Knöcheln. Legte die Hände auf ihre unendlich glatten, nackten Pobacken – und versenkte sein Gesicht in ihrem Schoß.
47
Es war wie ein wogendes Getreidefeld im Wind, wie ein See, eine Fläche aus Gliedern. Ein verschlungenes, pulsierendes, rutschendes und wippendes Wesen, das aus Dutzenden von Leibern zu bestehen schien, die sich ineinander geschraubt, gepresst, verbissen, miteinander verzahnt hatten. Ein Geflecht, eine Wucherung, ein Gebilde, in dem der Einzelne verschmolzen war mit dem Wesen, von dem Mia, während sie zitternd in die milchige Luft des Raumes starrte, immer wieder meinte, ein Paar Augen, einen Mund, Ohren, ja, Haare erkennen zu können. Doch jedesmal stellte es sich als nur eine Körperfalte, eine Behaarung, eine Öffnung heraus, die zu einem einzelnen Menschen gehörte, dessen Kopf unter wieder anderen Gliedern versteckt war.
Mit aller Kraft hielt sie sich am Türpfosten fest, während immer neue Leiber an ihr vorbeidrängten, um sich in das hautfarbene Wesen einzugliedern, einzufügen, einzuschmiegen, dessen Wogen die Neuankömmlinge ohne weiteres schluckte, das sich an ihnen gütlich zu tun schien, sich dehnte und streckte, versessen darauf, sich die Menschen einzuverleiben, ihnen zu geben, wonach sie gierten, und sich im Gegenzug selbst immer mehr zu verflüssigen, aufzulösen, die Grenzen zwischen den Einzelwesen immer durchlässiger werden zu lassen. Der Geruch, der von dem Leibermeer aufstieg, raubte Mia fast die Besinnung, der Schweißdampf, der sich unter der niedrigen Decke gefangen hatte, überzog ihre Hände, ihr Gesicht, ihre Haare. Und doch hatte sie dem Leiberwesen nicht ausweichen können, das zum Teil schon aus dem Raum heraus auf die spiralförmige schiefe Ebene gequollen war, die im Herzen des Trichters in die Tiefe führte und über die Mia, seit Stunden, Tagen schon, wie ihr schien, einen Ausgang zu finden
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