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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Russen erregt.
    »Was bedeuten diese beiden Buchstaben?« übersetzte die Dolmetscherin rasch. Böhler blickte auf die Stelle, die der Finger des Kommissars bezeichnete, und eine kalte Hand griff nach seinem Herzen. Er streifte den Patienten mit einem raschen Blick und versuchte auszuweichen.
    »Das hat mit der Krankheit nichts zu tun«, sagte er hastig.
    Worotilow wurde aufmerksam, trat einen Schritt näher und blickte auf die Karte. Nur mühsam konnte er sein Erschrecken verbergen. Ausgerechnet jetzt mußte dieser Idiot von Kommissar seine Nase in die Kartothek stecken …
    Die Dolmetscherin lächelte hämisch. »Ich will Ihnen sagen, was diese beiden Buchstaben bedeuten: SS. Der Mann, den Sie hier verbinden, ist Mitglied der Mörderorganisation von Himmler!«
    »Er ist ein Plenni«, sagte Dr. Böhler fest. »Ein Plenni wie jeder andere. Und ein Mensch, der Hilfe braucht …«
    Während die Dolmetscherin übersetzte, dachte Worotilow fieberhaft nach. Er versuchte zu retten, was noch zu retten war! »Wie können Sie es wagen«, brüllte er Böhler an, »einen SS-Mann zu verbinden?! Mit dem kostbaren Verbandmaterial, das Eigentum der Sowjetunion ist?!«
    Der hagere Kommissar deutete auf den weißbandagierten Kopf des Patienten.
    »Verrband wegg!« sagte er kurz. Plötzlich konnte er Deutsch.
    Dr. Böhler sah ihn ablehnend an. »Warum?« fragte er.
    »Fragen Sie nicht!« brüllte Worotilow. Er war so verzweifelt, daß ihm fast die Tränen in die Augen traten. »Gehorchen Sie gefälligst, Sie deutsches Schwein!!!«
    Dr. Schultheiß trat zu Dr. Böhler und legte ihm die Hand auf den Arm. »Herr Stabsarzt …«, begann er. Aber Worotilow ließ ihn nicht ausreden, »'raus!« schrie er ihn an. »Sie haben hier gar nichts verloren! Sie auch nicht, Pelz!« Um Gottes willen, dachte er dabei, jetzt bloß keinen Zeugen bei der kommenden Auseinandersetzung …!
    Betreten trotteten Dr. Schultheiß und Emil Pelz hinaus. Ehe jemand anderer eingreifen konnte, wandte sich Worotilow wieder an Böhler. »Nehmen Sie sofort diesen Verband ab!« sagte er drohend – und lautlos formte er mit den Lippen ein flehendes »Bitte!«.
    Dr. Böhler sah den Major nicht an. »Teilen Sie dem Herrn Kommissar bitte mit, daß für diesen Kranken ich verantwortlich bin – und nicht er!« sagte er zu der Dolmetscherin. »Der Verband ist lebenswichtig – und er bleibt.«
    Kalte Wut leuchtete aus den Augen des Kommissars, als ihm dieser Satz übersetzt wurde. Er sprang an den Operationstisch und streckte die Hand nach dem Kopf des Patienten aus, um den Verband abzureißen. Mit einem einzigen Schritt stellte sich Dr. Böhler dazwischen. »Nicht, solange ich hier Chefarzt bin …«, sagte er fest.
    Sekundenlang stand er Auge in Auge mit dem Russen. Dann lächelte der Kommissar höhnisch. »Hier Chefarzt?« sagte er langsam auf russisch. »Wenn Sie solchen Wert darauf legen … dann können Sie es noch lange bleiben …« Er wandte sich achselzuckend ab. »Wir werden einen anderen auf die Liste setzen«, sagte er zu Worotilow, und man sah ihm an, mit welcher Genugtuung er diesen Befehl aussprach. »Wir können doch Hitlers Mordschergen die ärztliche Hilfe nicht entziehen …«
    Major Worotilow trat in Böhlers Zimmer. Allein. Er schloß die Tür hinter sich. Er zögerte, ehe er sprach, aber dann klang seine Stimme hohl und gebrochen. »Verzeihen Sie«, sagte er, »aber ich wollte Ihnen helfen. Es wäre die einzige Möglichkeit gewesen, Ihre Entlassung zu retten.«
    »Ich weiß …«, sagte Böhler dumpf. Dann sprang er auf und rannte erregt im Zimmer hin und her. »Aber ich kann doch einen Menschen nicht sterben lassen, hilflos und gequält – nur weil … Das geht doch nicht, Major! Das ist doch unmöglich!« Er blieb vor der rohen Wand der Baracke stehen und starrte auf die Ritzen der einzelnen Bretter, auf die abblätternde Farbe, auf die Glaswatte, die aus den Fugen quoll. Durch seinen Körper ging ein leises Zittern. »Ich kann doch einen Patienten nicht verraten«, sagte er kaum hörbar. »Ich kann doch nicht wegfahren und ihn dafür büßen lassen. Das geht doch nicht … das geht doch nicht … Und überhaupt« – plötzlich stieg ein überwältigendes Gefühl der Verantwortung in ihm auf – »ich habe hier im Lazarett 54 schwere Fälle … in den einzelnen Blockrevieren liegen 73 Kranke, die nicht laufen können. Was sollen sie denken, wenn ich einfach weggehe nach Deutschland – und sie allein in der Einöde lasse.«
    »Sie werden auch

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