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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zu können.
    »Du altes Schwein«, sagte sie leise. Aber sie hielt still, und der Lange genoß langentbehrte Freuden.
    Das Leben ging weiter. Dr. Böhler operierte in einer Nacht eine Gallenblase, assistiert von Dr. Kresin und der Kasalinsskaja. Dr. Schultheiß schlief bei seiner Janina.
    Aber im stillen waren sie alle bereit, bereit zum Sprung in die Freiheit oder ins Verderben. Sie warteten …
    Still … unauffällig … ergeben in ihr Schicksal … Sie hatten die Augen überall, die Ohren, alle Sinne … sie lauschten in die Nacht und in die Wälder, sie schlichen um die Verpflegungswagen und die Kommandantur. Sie horchten auf den Herzschlag, der durch das Lager ging, auf dieses ängstliche Klopfen so vieler Herzen, die um ihr Schicksal bangten.
    Warten! Warten!
    Bald wird Frühling sein! Bald wird die Sonne scheinen, die warme Sonne. Der Schnee wird schmelzen, die Flüsse auftauen, die Bäume wieder grün werden. Zunächst wird alles ein großer Sumpf sein, in dem Menschen und Tiere steckenbleiben und versinken – und dann wird die Sonne brennen, die Straßen werden trocken und fest sein, die Wälder und die Felder, die Steppen und Wiesen werden blühen … Frühling!
    Die Arbeiter der Kolchosen werden hinausfahren auf die Felder. Die Mädchen ziehen singend mit den Geräten über die Wege … Arbeitskommandos vor! 10 – 20 – 30 – 100 – 1.000 Plennis ab zu den Feldern! Pflügen! Säen! Eggen! Pflanzen! Die Erde bricht auf … der ungeheure fruchtbare Schoß bietet sich dar! Lastwagen werden kommen mit Saatgut … Raupenschlepper rattern über die Felder, Traktoren pflügen die schwarze Erde um … aus der Steppe werden die Reiter kommen, um einzukaufen in Stalingrad und Saratow … kleine Reiter auf struppigen Rössern, die Erben Attilas und Dschingis-Khans. Ihre Filzzelte stehen dann an der Wolga, die Lagerfeuer leuchten. Die Romantik der Wolga steigt in den Himmel, an dem die Sterne glitzern, herrlicher als je.
    Der Frühling! Frühling an der Wolga!
    Und im Frühling sind die ersten Entlassungen!
    Frühling 1950!
    Noch schneit es … aber was sind zwei oder drei oder vier Monate, wenn man so viele Jahre gewartet hat. Ein Hauch … ein Nichts … ein Augenblick …
    Und hoffentlich kommen bis dahin noch mehr Pakete …
    Wenn die uns bloß nicht vergessen in der Heimat …
    Im staatlichen Lazarett zu Stalingrad standen die Assistenzärzte in Gruppen beisammen und tuschelten. Der Professor saß bleich in seinem Zimmer, sein weißer Bart in dem tatarischen Gesicht zitterte.
    Im Nebenraum hörte man einen Mann schreien. Schrill. Grell. Wahnsinnig. Er trommelte mit den Fäusten gegen die Tür, er rannte mit dem Kopf gegen die Wand und brüllte wie ein Tier: Sergej Kislew.
    Man hatte soeben seinen Sohn eingeliefert. Heilung unmöglich. Krebs! Der Professor hatte es gesagt, da brach der große, dicke Mann zusammen und benahm sich wie ein Irrer. Er schlug dem Professor ins Gesicht und wollte ihn erwürgen. Nur der schnelle Zugriff des Oberarztes und dreier Assistenten rettete Pawlowitsch das Leben. Nun tobte er in dem kleinen Zimmer und schrie, daß es durch den stillen, großen Bau gellte.
    Der Oberarzt lehnte bebend am Fenster und sah auf den im Sessel hockenden Professor. Eine Mumie, dachte er. Das ist nur noch eine Mumie, die einen berühmten Namen hat. Der Mann lebt ja nicht mehr …
    »Um Sascha Kislew steht es sehr schlecht«, sagte der Oberarzt. »Wir haben festgestellt, daß vielleicht Verkürzung des Magens noch helfen kann …«
    Pawlowitsch sah den Oberarzt wütend an. »Du bist ein Idiot«, antwortete er. Seine Stimme war schrill vor Zorn. »Das hat der deutsche Arzt schon gemacht. Wir können doch nicht den ganzen Magen herausnehmen! Er stirbt!«
    Der Oberarzt sah aus dem Fenster über die gepflegten Rasenflächen des Krankenhausgartens. Auf einem Rollstuhl wurde ein Offizier von einem Pfleger durch den Schnee gefahren, dick vermummt in warme Pelze und Decken. Man konnte erkennen, daß man ihm beide Beine amputiert hatte.
    »Ob wir diesen Dr. Böhler nicht doch wieder rufen?« wagte der Oberarzt zu sagen.
    Pawlowitsch schüttelte den Kopf. »Nein!« sagte er hart.
    »Er hat damals die Operation gemacht. Wir könnten, wenn der junge Kislew stirbt, immer sagen, daß es die Schuld des deutschen Arztes ist! Er hat operiert!« Der Oberarzt lächelte listig. »Er wird sich dagegen nicht wehren können!«
    Der Asiate sah seinen Oberarzt lange schweigend und starr an. »Der Gedanke ist gut, Genosse«,

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