Der Assistent der Sterne
möglich. Warum nicht.«
»Beantworten Sie bitte meine Frage.«
»Die Frage.« Lulambo blickte zum Fenster. In der Ecke neben dem Fenster stand etwas, verhüllt mit einem Tuch, in dessen Faltungen Jensen einen aufgedruckten schwarzen Stern zu erkennen glaubte. »Sie fragen mich, was ich Frau Lachaert gesagt habe. Aber ich habe ihr nichts gesagt.«
Er schwitzt, dachte Jensen. Obwohl es sehr kalt ist hier drin. Im kleinen Radiator unter dem Fenster war zu viel Luft, man hörte das Wasser plätschern.
»Warum lügen Sie mich an?« Die alte Frage; sie weckte in Jensen Heimweh nach früher, nach dem Dienst, den Verhören, und der Langeweile, dachte er, der Unerfülltheit, dem Trott.
»Sie verstehen das nicht«, sagte Lulambo. »Nicht ich sehe die Zukunft. Mein Fetisch sieht sie. Ich bin nur sein Mund. Leider ist der Fetisch nicht besonders klug. Er sagt immer die Wahrheit. Daran kann ich nichts ändern.« Lulambo hob die Hände. »Es geschieht so, wie er es sagt.«
»Was hat Ihr Fetisch Trees Lachaert prophezeit?«
»Ihre Tochter wird sterben. Hier in Belgien. Bevor der Sommer kommt.« Lulambo schloss die Augen. »Ein Mann wird sie töten. Ein Mann, der …«
»Der was?«
»Der ein Mal am Hals hat.«
»Weiß Ihr Fetisch auch, wo Trees Lachaert jetzt ist? Jetzt, in diesem Augenblick?«
»Wollen Sie, dass ich ihn frage?«
»Das ist nicht nötig. Ich weiß es: Sie liegt im Krankenhaus. Wahrscheinlich stirbt sie. Sie hatte einen Infarkt. Und zwar, weil sie Ihnen geglaubt hat, Herr Lulambo. Sie ist hierhergekommen, um zu hören, dass ihre Tochter reich und berühmt werden wird. Das ist doch Ihre Aufgabe. Die Leute bezahlen Sie dafür, dass Sie ihnen eine Zukunft prophezeien, in der ihre Wünsche wahr werden. Aber stattdessen erzählen Sie Trees Lachaert, dass ihre Tochter bald sterben wird. Was sind Sie? Ein Sadist? Ich werde aus Ihnen nicht klug, Herr Lulambo. Sind Sie krank? Hören Sie Stimmen? Glauben Sie tatsächlich, dass Ihr Fetisch die Zukunft kennt? Trees Lachaert wird sterben, Herr Lulambo. Weil Sie ihr diesen Unsinn eingeredet haben. Und jetzt frage ich mich: Warum? Wussten Sie, dass sie herzkrank ist?«
Jensen stand auf. Er ging zum Fenster und öffnete es. Er brauchte frische, eiskalte Luft.
»Wussten Sie das?«, fragte er. Ein Mal am Hals! Es wurde immer absurder!
Lulambo sagte etwas, so leise, dass Jensen es nicht verstand. Er forderte Lulambo auf, es zu wiederholen.
»Nein!«, schrie Lulambo.
Jensen fragte ihn, seit wann er Trees Lachaert kenne, wann sie zum ersten Mal hier gewesen sei. Er fragte ihn, ob er Vera Lachaert kenne, ob er wisse, wo sie wohne, ob er ein Verhältnis mit ihr habe. Lauter Standardfragen aus dem Handbuch des Verhörs. Schlimmer noch, es waren Blindfragen, Fragen aufs Geratewohl: Lulambo beantwortete sie alle, ohne dass erkennbar gewesen wäre, ob er log oder nicht. Jensen versuchte es an einem anderen Punkt.
»Vor ein paar Tagen haben Sie vor dem Hotel auf mich gewartet«, sagte er. »Sie sind mir in die Buchhandlung gefolgt. Woher kannten Sie mich?«
»Ich kannte Sie nicht.« Lulambo stand auf, er legte sich auf sein Bett, drückte das Kopfkissen an seine Brust; erwirkte jetzt verletzlich, ein verängstigtes Kind, das verunsicherte Jensen. Womöglich quälte er mit seinen Fragen einen Menschen, der nicht Herr war über sich selbst, dem sein Fetisch, wer oder was immer das war, schreckliche Prophezeiungen diktierte, ein klinischer Fall, andere vernahmen die Stimme Gottes. Vielleicht hatte es keinen Sinn, ihn weiter zu befragen: Wenn jemand Wahn für Wahrheit hielt, gab es keinen Lügner zu entlarven.
»Es war ein Bild«, sagte Lulambo. »Das Bild dieses Hotels. Deshalb habe ich dort gewartet. Ich wusste nicht, dass Sie es sein würden. Ich habe Ihnen das an jenem Tag schon erklärt.«
»Sind Sie sich bewusst, wie unglaubwürdig sich das anhört? Sie sagten vorhin, dass Sie Vera Lachaert nicht kennen. Und mich kannten Sie angeblich auch nicht. Trotzdem warten Sie vor dem Hotel auf mich und warnen mich vor dieser Frau. Das müssen Sie mir wirklich noch genauer erklären, Herr Lulambo.«
»Weil Sie nicht zuhören. Sie hören einfach nicht zu.« Lulambo setzte sich im Bett auf; er zog aus der Hosentasche eine Packung Traubenzucker hervor und stopfte sich ein paar Dragées in den Mund. »Mein Fetisch kann nicht lügen«, sagte er, die Dragées knackten zwischen seinen Zähnen. »Ich leide an Unterzuckerung. Ich muss etwas essen, sonst werde ich ohnmächtig. Mein Fetisch.
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