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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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nicht verzeihen, schon gar nicht, wenn sie mir vorher etwas bedeutet haben. Ich weiß, dass das keine gute Eigenschaft von mir ist, aber ich kann es nicht ändern. Wie ich schon sagte: Ich bin allergisch darauf. Von Trees und Jorn will ich nichts mehr wissen.«
    »Ja«, sagte Jensen.
    Ein Schwarm Raben flog über die Autobahn, der Himmel hing tief, auf den Äckern war der Schnee in die Höhe gewachsen.
    Sie hat es noch nicht gemerkt, dachte er. Sie war noch zu sehr mit ihrer Enttäuschung über die Lüge ihrer Freundin beschäftigt. Aber morgen, dachte er. Morgen wird es ihr bewusst werden. Er hatte im Gouden Reaal Ausschau gehalten nach Vera Lachaert. Nach einer dunkelhäutigen Frau, jung, knapp dreißig Jahre alt. Daraufhin war Ilunga Likasi erschienen, sie hatte ihn angesprochen und ihnen Plätze an ihrem Tisch angeboten. Und morgen, dachte er, wird Annick auffallen, dass ich sie zu diesem Zeitpunkt eigentlich darauf hätte aufmerksam machen müssen, dass die Frau, die uns an ihren Tisch eingeladen hat, eine junge Schwarze war, also möglicherweise Vera Lachaert. Annick, dachte er, wird sich fragen, warum ich sogar später noch, als wir an Ilungas Tisch saßen, behauptet habe, es befinde sich keine Frau im Lokal, auf die die Beschreibung zutraf. Und sie wird zum Schluss kommen, dachte er …
    »Hannes?«
    Annick berührte ihn am Arm.
    »Fahr mich nach Hause«, sagte sie. »Zum Kortewinkel. Ich möchte jetzt allein sein. Und ich muss mich hinlegen, mir ist übel. Aber morgen … können wir uns morgen treffen, zum Mittagessen? Ich bin zwar nicht sicher, ob …«
    »Ob was?«
    »Ob ich es schaffen werde. Es gibt da etwas über mich, das du noch nicht weißt. Und nach allem, was heute geschehen ist, möchte ich nicht, dass du mir später vorwirfst, ich hätte dir etwas verheimlicht. Ich möchte, dass du weißt … wie ich aussehe. Das klingt merkwürdig, ich weiß. Aber stell jetzt bitte keine Fragen. Komm einfach morgen um zwölf bei mir vorbei. Einverstanden?«

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    19
    » D ie Wagenheizung funktioniert nicht«, sagte Jensen. »Und der Blinker links.«
    »Tja«, sagte der Mechaniker. Im Innenhof der Reparaturwerkstatt fielen Schneeflocken auf alte Reifen, Auspuffrohre, auf einen Hammer, der auf einem ausgebauten Motorblock lag; der Schnee verzauberte dieses raue Material, es war, als würde man Bären Gedichte vorlesen.
    »Vier Tage«, sagte der Mechaniker. »Früher geht’s nicht.«
    Drei Tage, dachte Jensen. Was hatte Ilunga Likasi damit gemeint? Und warum kaufte er sich keine Lesebrille? Das war doch lächerlich. Er verwechselte Ursache und Wirkung. Er wurde doch nicht älter, indem er sich eine Brille kaufte! Wenn er sich nicht in kindischer Weise gesträubt hätte gegen diese banale Einsicht, hätte er sich jetzt über Ilunga Likasis rätselhafte Bemerkung nicht den Kopf zerbrechen müssen. Durch eine Lesebrille betrachtet, entpuppte sich vieles, das zuvor kryptisch gewirkt hatte, als Abfahrtszeit eines Zuges oder als Gebrauchsanweisung für einen Stabmixer. STELLEN SIE DEN ON/OFF-SCHALTER AUF ON, UM IHREN STABMIXER EINZUSCHALTEN. Die Welt wurde durch eine Lesebrille betrachtet nicht interessanter, aber das Banale wurde immerhin erkennbar.
    »Vier Tage«, sagte Jensen. »So lange kann ich nicht warten. Ich brauche den Wagen morgen früh. Geht es nicht heute noch?«
    Jensen hätte seine Ungeduld nicht begründen können. Außer damit, dass zu seinem Leben ein Wagen gehörte. Er wollte einfach jederzeit in einen einsteigen können. Es war wie fließendes Wasser, man hatte einen Anspruch darauf.
    »Morgen ist Samstag«, sagte der Mechaniker. »Da läuft nichts. Und Übermorgen ist Sonntag. Das sind schon zwei Tage, an denen nichts läuft.«
    »Dann eben nicht«, sagte Jensen.

    Er parkte den Wagen an der Ringstraße, von dort ging er zu Fuß, durch die Vlamingstraat zum Marktplatz. Die Schneeflocken fielen jetzt einzeln; wenn man eine aus der Luft pflückte, waren fast keine mehr da. War es überhaupt noch nötig, den Heizungsmonteur anzurufen? Annick hatte sich doch jetzt entschieden, für ein gemeinsames Haus. Mochten die alten Häuser auskühlen, und mit ihnen Hafner Stijnens Kamin: Dann würde die Spachtelmasse eben nie durchtrocknen. Man musste jetzt vorwärts blicken und Altes hinter sich lassen, in der Kälte, wo es hingehörte. Es stand ein wunderbarer Frühling bevor. Das Zimmer im DeTuilerieën war teuer. Aber wenn er sich etwas anstrengte, fand er vielleicht schon in ein, zwei Monaten ein Haus,

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