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Der Atem der Angst (German Edition)

Der Atem der Angst (German Edition)

Titel: Der Atem der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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Michelle taucht bestimmt bald wieder auf. Ihr wisst doch, wie Kinder in dem Alter sind. Die haben ihren eigenen Kopf. Ich meine, immerhin ist Leonie noch rechtzeitig gefunden worden. Anders als Isabel. Da müsst ihr doch erleichtert sein.«
    Sarah nickte mit rot verquollenen Augen. » Es ist ja nur, dass wir dachten… Nicht, dass Michelle auch etwas passiert ist…«
    Jens stierte einfach nur vor sich hin, bis er an Louis’ Augen hängen blieb und da verweilte. In seinem Blick lag ein bodenloser Hass, den Louis sich nicht erklären konnte, und grauenvolle Angst, die ihn innerlich erschaudern ließ. Irgendetwas ging hier vor. Louis bekam es nur nicht zu fassen.
    Nachdem Jens und Sarah wieder gegangen waren, stieg er die Treppe hinauf in den ersten Stock, knallte seine Zimmertür zu und setzte sich erschlagen auf sein Bett. Unten im Wohnzimmer lief der Fernseher schon wieder volle Lautstärke. Seine Mutter trank ihr nächstes Bier.
    Wenn Leonie in Sicherheit war, hatte dann Michelles Verschwinden überhaupt etwas mit Leonie zu tun? Warum hatte sie ihn im Schuppen so genau danach gefragt, wann sein Vater damals verschwunden war? Hatte sie ihm etwas verschwiegen? Nur was?
    Oder… Louis erstarrte. Da war ein Erinnerungsschnipsel, der sich auf einmal vor sein inneres Auge schob. Er schluckte. Neulich hatte einer von den Sägewerkstypen Michelle in seinem Pick-up abends vom Kino mitgenommen, weil Mascha sich entschieden hatte, mit einem anderen Sägewerker noch tanzen zu gehen. Das hatte Michelle ihm am nächsten Tag in der Schule mit so einem komischen Unterton in der Stimme gebeichtet. Er hatte dem keine Bedeutung beigemessen. Was war zwischen den beiden gelaufen? Hatte Michelle seinen Namen erwähnt? War sie jetzt bei ihm? Hatte er ihr etwas angetan? Das war doch absurd! Obwohl: War es das wirklich? Hier gingen seltsame Dinge vor.

28 . NIEMAND
    Wie an jedem Freitagnachmittag stand er um Punkt 17Uhr am Empfangstresen und trug sich ins Gästebuch des Pflegeheims ein, in dem sein alter Vater seit genau sieben Jahren vor sich hin vegetierte. Anders konnte man das nicht nennen. Seit seinem selbst zugefügten Kopfschuss war der einst so kraftvolle Mann in seinem reglosen Körper gefangen. Er konnte weder sprechen noch sich anderweitig verständlich machen. Hin und wieder bekam er ein Blinzeln oder ein Lächeln hin. Das war alles.
    » Danke!« Er nickte der pummeligen Schwester zu, die hinter dem Tresen am Computer saß, und gab ihr den Stift zurück. » Was machen die Orchideen?«
    Die Schwester lächelte. » Die blühen!«
    Draußen vor den großen Fenstern verschwand die Sonne hinter dunklen Regenwolken. Plötzliche Düsternis zog herauf und legte sich wie eine graue Decke über den Rasen und die orangefarbenen Laubbäume. Er nickte. » Lieb, dass Sie sich darum kümmern.«
    » Aber gern!« Hinter dem Empfangstresen klingelte das Telefon und die Schwester nahm mit einem geflüsterten » Entschuldigung!« den Hörer ab.
    » Schon gut!« Seufzend drehte er sich um und ging den stillen Gang hinunter, von dem unzählige Krankenzimmer abgingen. Ganz am Ende drückte er leise die letzte Tür auf, hinter der die Apparaturen piepten, die seinen Vater am Leben hielten. » Hallo Paps.«
    Früher war der Vater ein Baum von einem Mann gewesen, jetzt sah er fast zart aus. Mit geschlossenen Augen lag er friedlich da. Die Jalousien vor den Fenstern, die zum Park hinausgingen, waren heruntergelassen, aber durch die Lamellen drang trotzdem ein wenig Licht. Auf dem Nachtschränkchen stand eine pinkfarbene Orchidee, die er ihm beim letzten Besuch mitgebracht hatte. Behutsam schloss er die Tür hinter sich und setzte sich auf die Bettkante. Dort wartete er, bis sein weißhaariger Vater die jungenhaften Augen öffnete und ihn fragend anblinzelte.
    » Ich bin’s.« Sacht legte er den Autoschlüssel aufs Nachtschränkchen. » Wie geht es dir?«
    Mit seiner voll funktionsfähigen, gedankengesteuerten Prothesenhand griff er nach der mit Altersflecken übersäten Hand seines Vaters und strich darüber. Sein Vater blickte ihn aus hellblauen Augen liebevoll an. Seine blassen Lippen öffneten sich. Aber es kam kein Laut heraus.
    » Paps«, flüsterte er, » morgen ist es genau fünfundzwanzig Jahre her. Fünfundzwanzig Jahre, dass unser Gero sich das Leben genommen hat. Ich weiß, was du sagen willst…« Er stockte, fuhr dann aber doch fort. » Das Leben wurde ihm genommen.«
    Sein Vater atmete schwer. Die hellen Augen schwirrten durchs Zimmer,

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