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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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vollkommenen Dunkelheit war es wie Kichern unter der Bettdecke. Als wir aufhörten, war da nur noch das tröstliche leise Schwappen der Wellen. Ich gähnte. Speichel bildete sich wieder, bitter wie Zitrone. Fleischstreifen hingen in der Dunkelheit, trockneten und wurden nach und nach durch das Salz gepökelt.
    Einige Zeit später rief eine Stimme: »Gottverflucht!« Jehova, der Feuer und Schwefel herbeirief. Es war Gabriel, der taumelnd aufzustehen versuchte, das Boot kippte gefährlich.
    »Setz dich!«, knurrten wir alle.
    Er ließ sich schwerfällig wieder fallen und brüllte mit sich überschlagender Stimme: »Gott! Gott! Welcher Scheißgott? Gott ist böse. Jawohl, das ist er. Gott ist böse, und der Teufel hat gewonnen. So sieht es aus!«
    »Sprich nicht vom Teufel«, flehte Skip.
    »Beruhige dich«, sagte Dan.
    »Wie denn? Mich beruhigen?« Gabriel lachte, ein humorloses Bellen. »Bist du verrückt?«
    »Vielleicht bin ich das«, sagte Dan. »Aber beruhige dich trotzdem.«
    »Schlicht und einfach«, sagte eine andere körperlose Stimme, sehr ruhig, wahrscheinlich der Kapitän, auch wenn es nicht nach ihm klang, »werden wir vielleicht alle sterben.«
    Eine Hand kroch in meine.
    »Ich will nicht sterben!«, wimmerte jemand, ich weiß auch da nicht, wer. Simon, glaube ich, obwohl es überhaupt nicht nach ihm klang und er schon so lange nichts mehr gesagt hatte, dass ich ihn fast vergessen hatte. Ein anderer fing an zu weinen, abgehackt und wütend.
    Es gab einen Ruck. »Verflucht nochmal, Skip«, sagte Gabriel, »es ist alles deine Schuld.«
    »Ich weiß, ich weiß.« Skips Stimme war plötzlich nah an meinem Ohr, so nah, dass die Härchen dort zitterten, ein tonloses Flüstern. »Entschuldigung. Entschuldigung.«
    »Wir sollten dich über Bord werfen.« Dags Stimme, zähneklappernd, mit Schluckauf.
    »Jetzt reicht's«, sagte Dan.
    »Werft ihn über Bord!« Gabriel mit einem Grinsen in der Stimme.
    »Werft ihn über Bord!« Simon schloss sich an.
    »Werft ihn über Bord! Werft ihn über Bord!« Jetzt auch Tim, und ich wollte gerade mit einfallen, als Dans strenge Stimme dazwischenfuhr: »Vergesst nicht, ich habe eine Pistole. Die erste Person, die im Zorn die Hand gegen einen von uns erhebt, trifft die erste Kugel.«
    Schweigen. Dann sprach Kapitän Proctor. »Ich habe auch eine Pistole«, sagte er.
    Schweigen.
    »Ich habe auch eine Pistole«, wiederholte er nachdenklich, dann: »Mr Rymer, klären Sie mich bitte auf. Ich bin doch immer noch der Kapitän dieses – dieses . . .«
    »Das sind Sie in der Tat.«
    »Falls geschossen werden muss, bin ich es, der entscheidet.«
    »Selbstverständlich. Ich wollte nicht . . .«
    »Ihr Schwachköpfe!«, sagte Gabriel mit tiefster Verachtung, »wieso ist das noch wichtig?«
    Minutenlang sagte keiner etwas.
    Die Wellen waren klein und wogten gleichmäßig auf und ab und auf und ab, einlullend wie ein Wiegenlied, lalalalalalaaa immer und immerzu und . . .
    »Ihr haltet mich für einen Schwachkopf!«, knirschte der Kapitän, »ich bin kein Schwachkopf!«
    »Niemand hält Sie für einen Schwachkopf«, sagte Dan.
    Skip stieß einen Schrei aus, den langen, entsetzlichen Schrei eines Verrückten, der meinen Kopf durchbohrte, und der Kapitän brüllte: »Bringen Sie ihn um Himmels willen zum Schweigen!«
    »Skip«, sagte Dan, »komm her.«
    Dann brach die Hölle los, Panik sprang von einem zum anderen, hüpfte zwischen uns, ließ sich nieder, hüllte uns alle ein, eine erstickende Wolke. Ich hörte sehr nah an meinem Ohr ein Wimmern. Dann war es überall, und ich war mittendrin und
Teil davon und sank grauenhaft hindurch, durch das Schluchzen und Heulen und Zähneknirschen.
    »Es reicht!« Ein Pistolenschuss.
    Schweigen.
    Der Kapitän sprach. »Wir sind keine Tiere«, keuchte er. »Kein einziger Laut mehr, oder die nächste Kugel findet mehr als leere Luft.«
    Ein paar Augenblicke lang erschrockenes Atmen und Schniefen und Seufzen, dann nichts mehr.
    »So«, sagte der Kapitän, »jetzt legen alle sich hin und schlafen. Mr Rymer, Sie halten den Jungen unter Kontrolle.«
    »Komm rüber zu mir, Skip«, sagte Dan leise. Er klang sehr müde.
    »Nimm ihn«, sagte Gabriel, »wegen ihm kann ich nicht schlafen.«
    »Schlafen?«, sagte Tim. »Schläfst du etwa?«
    Da lachten wir wieder alle.
    In der Dunkelheit trat Skip auf mich.
    »Mistkerl«, sagte ich.
    »Entschuldigung«, sagte Skip.
    »Du hältst mich also für einen Schwachkopf«, sagte der Kapitän gepresst. »Dieses

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