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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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uns und zündete seine Pfeife an. »Ja klar, ist dir natürlich egal«, sagte er.
    »Wenn ich Wale jagen kann«, sagte Skip und schraffierte dabei weiter mit seinem Bleistift, »kann ich alles jagen.«
    »Stimmt nicht.«
    »Doch. Ist doch nicht wie Angeln. Über Fische weiß ich alles.«
    »Nein«, sagte Dan.
    »Ist das nicht komisch?«, meinte Skip zu mir gewandt, »dass eine Sache gleichzeitig zwei völlig verschiedene Sachen sein kann?«
    »Versteh ich nicht.«
    »Man kann zum Beispiel etwas gern tun und es gleichzeitig nicht gern tun«, sagte er. »Wie damals, als mein Bruder Barnaby ertrank und ich ihn mir auf dem Küchentisch anschaute, und es war schön und traurig, alles zur selben Zeit. Oder wenn man einen Wal tötet und das Gefühl hat, man selber ist der Wal.«
    Er zeigte mir seine Zeichnung. Es war seine Vorstellung von einem Drachen, ein uraltes, tragisches, majestätisches Wesen.
    Ich konnte verstehen, warum Dan Skip nicht dabeihaben wollte. Zu unberechenbar. Das war ich aber nicht. Ich konnte gut mit Tieren, alle sagten das. Ich hatte ein Gefühl für sie und keine richtige Angst, nur Respekt vor ihrer Kraft, und die hatte mich eine gesunde Vorsicht gelehrt. Wieso durfte Tim der Jagdgefährte sein und ich nur Mädchen-für-alles? Später erwischte ich Dan allein und fragte ihn direkt: Wieso er und nicht ich?
    Er blies nachdenklich Rauch aus seinem Mundwinkel und sagte: »Erstens, weil ich es ihm versprochen haben. Zweitens, weil er der beste Mann für die Aufgabe ist.«
    » Tim ?«
    »Er ist der für die Jagd«, sagte er, »und du kümmerst dich um das Geschöpf, wenn es erst mal gefangen ist.«
     
    Meere haben ihre Eigenarten, genau wie Menschen. Nachdem die Crozet-Inseln hinter uns lagen, war die Veränderung ganz allmählich in alles eingesickert. Der Wind blies immer noch, aber nicht mehr so eisig, er trieb uns vor sich her wie die Katze ein Wollknäuel. Erst tauchten hier und da Inseln auf, beruhigende Tupfer Land in der endlosen Weite des Ozeans. Dann gab es keine mehr. Die Veränderung war eine Art Schläfrigkeit, die sich über uns legte, nachdem die Inseln verschwunden waren. Jetzt konnte ich die Erdkrümmung sehen, und mir wurde regelrecht schwindelig – als blickte ich in den strudelnden Abfluss eines riesigen Wasserbeckens. Das Meer veränderte seine Farbe, wurde durstig blau. Aber ich spürte noch etwas anderes, etwas, wofür ich keine Worte hatte, etwas, das mir eine Heidenangst einjagte. Eine Ungeheuerlichkeit. Als wäre hier etwas verborgen, etwas unter dem Meer, etwas unter allem.
    Ich versuchte, Tim davon zu erzählen.
    »Mal wieder typisch«, sagte er, »dass ausgerechnet ich hier
draußen mit einem Haufen Irrer festsitze. Großer Gott, steh uns bei, wenn wir erst mal Vollmond haben.«
    Nun, da wir uns unaufhaltsam seiner Heimat näherten, begann die Vorstellung vom Drachen zu wirken und nahm konkretere Formen an. Joe Harper und Sam Proffit zimmerten an Deck einen Käfig für ihn. Comeragh stand daneben und sah zu. »Passt bloß auf, dass das verdammte Ding auch hält«, sagte er, schüttelte sein Taschentuch auseinander und malte sich lachend aus, wie die Kreatur sich aus dem Käfig befreien und einen Spaziergang übers Deck machen würde. »Und dann runter ins Logis!«, rief er, vergnügt näselnd und schnäuzte sich.
    »Nach achtern in die Kapitänskajüte«, lächelte Sam.
    Joe pochte mit der Faust gegen das dicke Holz. »Da könnte man einen Elefanten drin einsperren«, erklärte er zuversichtlich.
    »Oder einen Tiger.« Das war ich. Der Käfig war fast wie der, aus dem mein Tiger ausgebrochen war.
    Tim ergriff das Wort. »Jaff wurde mal von einem Tiger angefallen.« Alle blickten mich an. »Erzähl es ihnen, Jaff«, sagte er. »Los, erzähl ihnen vom Tiger.«
    Und so musste ich die Geschichte, wie ich Jamrach kennengelernt hatte, noch einmal erzählen. Beziehungsweise Tim erzählte sie –
    »Ein riesiger bengalischer Tiger! So ein großer Kopf! Und dieser kleine Dreikäsehoch geht direkt auf ihn zu, als wäre es eine kleine Miezekatze, und gibt ihm einen Stüber auf die Nase . . .«
    »Keinen Stüber«, sagte ich, »ich hab ihn gestreichelt. Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt.«
    Alle drei sahen mich an, Sam und Joe und Comeragh, beeindruckt. Mr Jamrach kam zwar auch ziemlich gut weg in dieser Geschichte, aber ich war der Held, das wusste ich inzwischen. Es stimmte zwar, Jamrach hatte tapfer die Kinnladen des Tiers auseinandergezwungen – auch wenn es meiner

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