Der Attentäter - The Assassin
instabil. Sie dürfen nicht vergessen, dass er in einigen der schlimmsten Krisengebiete dieser Welt war und entsetzliche Dinge gesehen hat.«
Sie nickte bedächtig. Ihr war eine Geschichte eingefallen, die sie im Vorjahr gehört hatte. Während Kealeys Zeit in Bosnien hatte sich ein junges muslimisches Mädchen unsterblich in den jungen Lieutenant der Special Forces verliebt. Kealey hatte sich alle Mühe gegeben, nett zu ihr zu sein, jeden Tag mit ihr gesprochen, wenn er auf Patrouille war, und Schokolade und Blumen von ihr angenommen, sehr zur Erheiterung der anderen amerikanischen Soldaten. Dann kam die Tragödie. Die serbische Miliz fand heraus, dass das Mädchen mit Amerikanern sprach, und kurz darauf war es spurlos verschwunden.
Zwei Tage später wurde ihre verstümmelte Leiche von einer Patrouille am Ufer des Miljacka-Flusses gefunden.
In einer Stadt, wo jeden Tag Dutzende unschuldiger Menschen ums Leben kamen, war nicht damit zu rechnen, dass der Mörder seine gerechte Strafe bekam, das Schicksal einer Dreizehnjährigen zählte nicht. Kealey nahm die Dinge selbst in die Hand, und drei Tage nach ihrem Tod wurde auch ihr Mörder tot aufgefunden, mit durchgeschnittener Kehle, in einem Haus in Sarajevo. Es war ein Milizenführer namens Stojanovic. Kealey wäre beinahe vor ein Militärgericht gestellt worden, doch trotz aller Gerüchte wurde nie ein Beweis gefunden, durch den er mit dem Tod des Milizenführers in Verbindung gebracht werden konnte. Kharmai brauchte keine Beweise. Sie hatte einiges mit Kealey erlebt und wusste, wozu er fähig war.
»Ich will auf Folgendes hinaus«, sagte Harper. »Nach all diesen schrecklichen Erlebnissen war Katie alles für ihn, wirklich alles. Sie war völlig unschuldig, absolut unberührt von dem ganzen Dreck, den er in seinem Leben gesehen hatte. Mit ihr glaubte er einen Neuanfang machen zu können, sie war seine Chance, etwas zu finden, das ich in Ermangelung eines besseren Wortes durchaus als Erlösung bezeichnen würde. Mit ihrem Tod war auch diese Hoffnung dahin.« Er wandte verunsichert den Blick ab. »Zumindest ist das die schlüssigste Erklärung, die mir dazu einfällt.«
Kharmai nickte. Es war offensichtlich, dass Harper unbehaglich zumute war. Vielleicht dachte er, zu viel erzählt zu haben, oder dass es nicht seine Aufgabe sei, sie in alles einzuweihen. Für einen Augenblick glaubte sie, er würde an dieser Stelle abbrechen, doch dann redete er weiter.
»Als ich von den Ereignissen in Maine hörte, habe ich mich umgehend ins Flugzeug gesetzt, aber die Ärzte ließen mich
erst am nächsten Morgen zu ihm. Ich war nicht sicher, was mich erwartete, aber ich war konsterniert. Er war merkwürdig gleichgültig, auf eine fast bedrohliche Weise ruhig, als wäre ihm noch gar nicht richtig bewusst, was geschehen war. Doch dann holte ihn alles ein, und seitdem lebt er damit.«
Sie beugte sich vor. »Womit?«
»Mit dem Zorn, der Trauer, vor allem mit den Schuldgefühlen. Die Jagd auf Vanderveen war ihm damals wichtiger als Katie, und er glaubt, dass sie das schließlich das Leben gekostet hat. Vielleicht hat er damit sogar recht, doch darum geht es nicht. Er kann es nicht vergessen.« Harper stellte seinen Becher auf den Tisch und ließ den Blick geistesabwesend durch den Innenhof schweifen, ganz in Erinnerungen versunken. »Einen Monat später, als seine Wunden verheilt waren und die Ärzte ihn für halbwegs gesund erklärten, tauchte er in meinem Büro auf. Er wollte wieder einsteigen, und ich habe es möglich gemacht. Vier Monate war er in Afghanistan, um mit den Spezialeinheiten Mitglieder der Taliban zu jagen, dann, nach einer kurzen Pause, ein halbes Jahr im Irak. Ich habe gedacht, es würde ihm helfen, wieder zu sich zu finden.«
»Und jetzt?«, fragte sie leise. »Würden Sie heute noch einmal so handeln?«
Wahrscheinlich hatte sie kein Recht, die Frage zu stellen, doch Harper schien keinen Anstoß zu nehmen. Er zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Es spielt auch keine Rolle mehr, aber eines weiß ich mit Sicherheit. Seit jener Nacht geht er extreme Risiken ein, und es wird schlimmer. Nach seiner Rückkehr aus Afghanistan hat mir ein Kommandeur der Spezialeinheiten klargemacht, Kealeys Rückkehr sei nicht erwünscht. Dabei hat er dort sehr gute Arbeit geleistet, durch ihn wurden ein paar wichtige Leute geschnappt, die geglaubt
hatten, sich mit ihrem Geld in Pakistan in Sicherheit bringen zu können. Was sie störte, war Kealeys
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